Tourismus auf dem Sinai
    Inhalt:
    Ras Muhammed – ein Paradies soll erhalten werden
    Ras Mohamed: Naturreservat oder Prestigeprojekt?
    Rimini am Roten Meer – Ägypten: Sharm el-Sheikh ist ein touristisches Trugbild
    Basata – ein ökologisches Gesamtkonzept auf dem Sinai
    Ägyptens Naturschätze in Gefahr
    Zurück in die Zukunft – Die Ökolodge...
    Mosesberg – Gedanken eines modernen Pilgers

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Ras Muhammed – ein Paradies soll erhalten werden
von Stephan Heidemann

Papyrus-Logo Nr. 11/89, pp. 23—25

Europäische Gemeinschaft (EG) beteiligt sich am Nationalparkprojekt

Der Golf von Aqaba und besonders Ras Muhammed gelten als eine der schönsten Unterwasserlandschaften der Welt. Aber schon zeigen sich an seinen Stränden und Korallenbänken die schädigenden Auswirkungen des eindringenden Menschen. Verschmutzte Strände und zerstörte Korallenbänke, dezimierte Fischbestände. Die EG beteiligt sich seit Juni dieses Jahres am Aufbau eines Nationalparks in Ras Muhammed.

Der ägyptischen Regierung liegt viel an der Förderung des Massentourismus, der eine wichtige Stütze der ägyptischen Zahlungsbilanz darstellt. Der traditionelle Kulturtourismus soll ergänzt werden um den Erholungs- und Badetourismus. Die Schönheiten des Sinais sind touristischer Anziehungspunkt; aber sie sind auch unwiederbringlich, wenn das Ökosystem einmal gestört ist. Korallenriffe sind sensibler als Pyramiden, und die Folgen eines von den Kulturdenkmälern zu den Naturschönheiten verlagerten Massentourismus kaum abzuschätzen.

Die ägyptische Regierung trat deshalb an die EG heran, ob sie beim Aufbau eines Naturparks in Ras Muhammed Unterstützung leisten könnte. Die EG zeigte sich interessiert und ließ eine Studie zur ökologischen Situation von Dr. Michael Pearson, der vorher ein UN-Projekt zur Unterstützung der Fischerei in Tansania leitete, erarbeiten: "Abfall ist reichlich vorhanden, die Landseite ist zerstört durch Fahrzeuge, die militärische Präsenz schädlich und destruktiv, das Korallenriffsystem in beliebten Tauchgebieten ist beschädigt durch Anlegen von Schiffen und der Ankertechnik, die Korallen sind angebrochen durch Taucher, und die Mangrovengebiete sind Opfer chronischer Ölverschmutzung." Auch gibt es dort eine "offensichtliche und unkontrollierte Jagd nach Speisefischen, dabei werden Korbfallen und Angelruten verwendet, und es gab Anzeichen von Fischerei mit Explosionskörpern in dem Gebiet, das zur Zeit unter militärischer Kontrolle steht."

Aufgrund der Dringlichkeit der Lage entschloß sich die EG, schnell zu helfen und die Egyptian Environmental Affairs Agency (EEAA) zu unterstützen. Diese für Ägypten ungewohnte Schnelligkeit am Ende der Studie im Dezember 1988 bis zu den ersten Schritten der Implementierung im Juni stieß auf vielfache Kritik in Ägypten, da einige Behörden und Personen sich übergangen fühlten. Nach Auskunft von Herrn T.Landrien vom Projektverbindungsbüro der EG in Kairo hatte die EG die Wahl zwischen schneller Unterstützung und enger Zusammenarbeit mit der EEAA und dem Aufschub des Projektes um mehrere kostbare Monate. Seit Juni dieses Jahres ist Herr Pearson als Projektleiter in Ras Muhammed tätig und leitet die ersten Schritte zur Einrichtung des "Ras Muhammed Marine National Park Project" ein.

Der Nationalpark

Der Nationalpark hat die schwierige Aufgabe, zwei sich widerstreitende Ziele, Naturschutz und Tourismus, miteinander in Einklang zu bringen.

  • Zum einen soll die Unterwasser- und Küstenlandschaft sowie ihr Artenreichtum bewahrt und geschützt werden als natürliches Erbe Ägyptens,
  • zum anderen soll der Park eine effiziente und finanziell sich selbsttragende Einrichtung für Tourismus und Forschung werden.

Die EG hat ihren Beitrag auf zwei Jahre begrenzt, um ihr Engagement überschaubar zu gestalten, und will die Entwicklung der Zusammenarbeit mit den ägyptischen Behörden als Prüfstein für weitere Nationalparkprojekte nehmen. Ihr finanzieller Beitrag während dieser beiden Jahre beläuft sich auf 750.000 ECU (ca. 1,5 Millionen DM). Die EG stellt als Projektleiter Herrn Pearson, sowie Kurzzeitexperten und einen Teil der Erstausstattung der Ausrüstung des Nationalparks, wie Fahrzeuge und Tauchausrüstungen usw., zur Verfügung. Die ägyptische Seite hat sicherzustellen, daß die National Park Authority als Unterbehörde der EEAA volle Entscheidungskompetenz hat, sowie die laufenden Kosten zu tragen. Später soll sich der Nationalpark selbst finanzieren durch Gebühren für Eintritt und Übernachtungen auf einem Campingplatz.

Lageplan

Die Aufgabe von Herrn Pearson wird es in den nächsten Monaten sein, eine Managementstrategie für den Nationalpark zu entwickeln, und vor allem eine Gruppe von Rangern, Nationalparkwächtern, auszubilden. Der Nationalpark soll in verschiedene Zonen aufgeteilt werden; in Zonen, die ganzjährig oder saisonal geschlossen sind, Forschungsgebiete, Tauch- und Schnorchelzonen, geschlossene Landschaftsgebiete, und auch spezielle Areale, in denen Sportfischen erlaubt ist. Durch den Park werden besonders markierte Wege führen, von denen nicht abgewichen werden darf, um die Wege und die umgebende Natur nicht zu zerstören. Ein besonderer Schwerpunkt soll in der Aufklärungsarbeit liegen. Dazu soll neben den üblichen touristischen Faszilitäten – Restaurant, Caféteria, Erholung – ein Besucherzentrum errichtet werden, um in die Probleme der Natur und der ökologischen Zusammenhänge einzuführen und den Besucher dafür sensibel zu machen. Keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem die Entwicklung eines breiten ökologischen Bewußtseins noch am Anfang steht. Broschüren, die über den Park und das angemessene Verhalten informieren, sollen an den Eingängen an jeden Besucher verteilt werden. Im Besucherzentrum kann der Gast seinen Informationsstand durch Videofilme verbessern. Man hofft auch auf eine aktive Mitarbeit der Massenmedien. Ein Problem, dessen Existenz man im Projektverbindungsbüro der EG bisher nur ahnt, ist die Bindung des ausgebildeten Personals an den Naturpark. Denn bei den Niedriglöhnen des öffentlichen Sektors können für ausgebildete Taucher Angebote der privaten Touristikunternehmen durchaus attraktiver erscheinen. Aber mit der Qualität und der Motivation der Ranger steht und fällt ein funktionierender Naturschutz.

Ob die EG sich nach zwei Jahren weiter engagieren wird, macht sie abhängig von den Ergebnissen. Für die Freunde des Sinais ist der rasche sichtbare Erfolg des Projektes zu hoffen, um eine der vielen Kostbarkeiten Ägyptens zu erhalten.

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Ras Mohamed: Naturreservat oder Prestigeprojekt?
von H. Koek

Papyrus-Logo Nr. 3—4/92, pp. 94—95

Weihnachtszeit – Besucherzeit... und was liegt näher, als an einem verregneten, stürmischen Kairener Wintertag dem Urlauber von der Waterkant Dias der sonnigen Seite Ägyptens zu zeigen; Hamburger Schmuddelwetter haben sie ja zuhause.

Ein Ort darf da nicht fehlen: der Südzipfel des Sinai, Ras Mohamed, allen TaucherInnen der Welt bekannt aus den einschlägigen Hochglanzbroschüren. Diakasten 23 findet denn auch volle Anerkennung: das im Morgendunst an Stonehenge erinnernde Eingangsportal (das sich beim Näherkommen allerdings als Beton entpuppt), die Pistenbilder mit und ohne Geländewagen, die Luftwurzeln der Mangroven, kleine Yachten in tiefblauem Wasser, davor die Riffkante, Trophäenbild mit Tauchermaske und Seeigelpanzer... Als krönender Abschluß posiert im Gegenlicht ein Ranger auf seinem Moto-Crossbike auf einer Anhöhe, selbstherrlich die Arme in die Seiten gestemmt. Ungläubige Nachfrage: ein ägyptischer Ranger? Naturschutzgebiet? Dort unten, wo fast jeder Küstenstreifen so aussieht wie im Bilderbuch? Wie paßt das zusammen mit dem, was Kairo an Zeichen von Umweltbewußtsein dem Besucher gezeigt hat: Brandgestank nach Plastik, rund um die Uhr Lärm, Autoabgase, Müll, menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen... Und dort, dafür haben sie Geld?!

Das sicherlich ist eine der häufigsten Fragen, die die acht staatlichen Parkwächter beantworten müssen, wenn sie wieder einmal "Funde" von Schnorchlern ins Meer zurückbefördern, von den markierten Pisten "abgekommene" GeländewagenfahrerInnen ermahnen, auf die Parkplätze verweisen oder Camper verscheuchen müssen.

Wie kam es nun zu diesem Naturreservat, oder ist es eher ein Prestigeobjekt wie die vielen neuen Brunnen in Kairo? Die erste Frage kann leicht, die zweite wird erst in Zukunft beantwortet werden.

Am 5. Juni 1991, dem Tag der Umwelt, wurde der RAS MOHAMED-Nationalpark eröffnet, nachdem bereits 1983 ein Gesetz die Grundlagen dafür geschaffen hatte. Mit der Unterstützung der EG konnte 1989 begonnen werden, das vom Militär verlassene Gebiet auszubauen. Der bekannte französische Meeresbiologe Michael Pearson übernahm die Projektleitung, so daß die finanzielle und technische Hilfe auch sinnvoll eingesetzt werden konnte.

Dies zeigt sich, für den Tagesbesucher schwerlich erkennbar, an der Größe: die ursprünglich geplante Fläche wurde auf 200 Quadratkilometer verdoppelt, ein großer Teil davon aber dem Besucher unzugänglich gemacht. Hierzu gehören alle ökologisch sensiblen Gebiete, wie z.B. die den Mangrovenkanal einschließende Insel, ein Brutgebiet für Wattvögel, den Zugvögeln ein Rastplatz. Zugleich wird eine ausreichende (?) Pufferzone gelegt zur nördlich gelegenen Tourismusmetropole um Sharm El Sheikh mit seinen knapp vierter Millionen Urlaubern jährlich, darunter etwa 75% Tauchern. Diesem Ansturm stehen 140 km markierte Wege zur Verfügung; Parkplätze – allerdings ohne Toiletten – an Stellen mit guter Einstiegsmöglichkeit versuchen die Belastung der Natur zu konzentrieren. Im Aufbau befinden sich ein Informationszentrum mit Mediothek sowie ein Naturlehrpfad über ein Riff. Die Ranger werden geschult, um vor Ort Fragen beantworten und den Sinn der 12 Punkte umfassenden Besucherordnung verdeutlichen zu können.

Sicher ist es einen Versuch wert, den devisenbringenden Tourismus anzulocken mit einer heilen Umwelt, 150 Korallenarten, 20 Millionen Jahre alten Fossilien, an die 1000 z.T. nur hier vorkommenden Fischarten, Meeresschildkröten, Seeadlern, Falken oder eindrucksvollen Zugvögeln wie dem Schwarzstorch. Doch können die Rahmenbedingungen den Erfolg einer Koexistenz von Natur und menschlichem Freizeitbedürfnis garantieren? Wo bleiben der Müll und die Abwässer der Hotelburgen, wer verhindert die Gefahren, die der Schiffsverkehr mit sich bringt? Die Wracks weiter im Norden sprechen für sich. Oder ist es wieder das alte Problem der "Masse Mensch", die den Erfolg zweifelhaft erscheinen läßt? Wie war es denn am Tage, als die Dias aufgenommen wurden, dem 5. Oktober 1991? Israel beging sein religiöses Fest, Ägypten feierte seinen militärischen Sieg, Deutschland zelebrierte die Einheit, langes Wochenende, Herbstferienzeit in Europa. Ein Sonnenölteppich am Fuße des Shark Points, die Phalanx der Campingbusse an der Familienbucht, vor dem Riff von Bojen vertäut sieben (!) Taucherboote, abseits der Piste im Morast eingesunken ein Jeep; in der Lagune Schnorchelbetrieb wie Kairos Straßenverkehr und unter Wasser die Tauchtrupps in bis zu drei Tiefen gestaffelt. Plastiktüten und Picknickreste dümpelten träge im auflaufenden Wasser des Mangrovenkanals.

Und trotzdem, wie sähe es ohne den Status Nationalpark hier aus? Welche Hotelkette hätte den Zuschlag erhalten? Ist nicht hier die Chance gegeben, den Gedanken des Naturschutzes in Ägypten zu verankern? Es bleibt zu hoffen, daß dieser Weg Bestand haben wird gegenüber dem schnellen Profit, wie die steigende Beliebtheit des Reiseziels Sinai ihn verspricht.

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Rimini am Roten Meer
Ägypten: Sharm el-Sheikh ist ein touristisches Trugbild

aus: "Die Zeit" Nr. 44 vom 28.10.1994
von Martin Durm

Papyrus-Logo Nr. 1—2/95, pp. 63—65

Wenn es Abend wird in Sharm el-Sheikh, färbt die untergehende Sonne die Sinaiberge rötlich und gelb. Nackt ragen die Granitzacken der Zweitausender in den Himmel, und im Zwielicht der Dämmerung stehen dünne Rauchwolken am Horizont. An diesem Panorama berauschen sich Hunderte von Touristen. "Beduinen", flüstert andächtig eine Urlauberin auf der Strandpromenade, und sie hat gar nicht so unrecht. In den Gebirgstälern haben die Söhne der Wüste wieder mal ein Feuer entzündet. Nur wird da hinten weder Tee gekocht noch Hammel gebraten; auf wilden Müllkippen brennt statt dessen der Abfall, den die Tourismusindustrie am Roten Meer produziert. "Wasserflaschen aus Plastik, kaputte Kanister – alles wird da draußen beseitigt", meint ein Hotelmanager, der seinen Namen aus geschäftlichen Gründen lieber verschweigt.

Karte Rotes Meer

Hochsaison im ägyptischen Ferienparadies: Die Straßen sind sauber, die Strände gepflegt, und daß der Dreck aus Dutzenden von Hotelanlagen in den Bergen verkokelt, scheint niemand zu stören. Sharm el-Sheikh boomt, ist ausgebucht und wird weiter erschlossen. Vor zwanzig Jahren gab es in dieser Küstensiedlung nur ein paar Hütten, heute umrahmen orientalisch gebaute Hotelburgen die Bucht. Derzeit stehen 4.000 Betten für Urlauber bereit, in drei Jahren sollen es 8.000 sein. Das Meer ist zum integralen Bestandteil des touristischen Rummels geworden. Motorboote haben Wasserskifahrer und Paraglider im Schlepptau, vor den Korallenriffen ankert die Flotte der Taucher und Schnorchler. Zwar werden in Sharm el-Sheikh im Unterschied zu anderen Sinaidörfern keine Abwässer mehr ins Rote Meer eingeleitet, doch die Invasion der Unterwasserfreunde hat die submarinen Gärten gezeichnet. Meeresbiologen warnen seit Jahren davor, daß sich die Riffe unter den Ansturm der Massen in Ruinen verwandeln. Oft genügt schon ein Flossenschlag, um das zerbrechliche Geäst einer Fächerkoralle zu pulverisieren. Dennoch ziehen die Taucher in dichten Schwärmen an den Riffen vorbei, aus stillen Lagunen sind preßluftblubbernde Kessel geworden.

Den internationalen Reiseveranstaltern ist es den vergangenen Jahren gelungen, diese Region als Halbinsel der Seligen und sichere Enklave der Sorglosigkeit zu vermarkten. Vor allem deutsche und italienische Urlauber werden mit Billigangeboten gelockt. Dabei ist Sharm el-Sheikh ein touristisches Trugbild, das nichts gemein hat mit der Wirklichkeit eines von schweren Konflikten gebeutelten Landes. In ihrem Kampf gegen die Staatsmacht und für die Scharia haben islamische Terroristen seit 1992 immer wieder Anschläge auf Touristen verübt und damit die wichtigste Devisenquelle des Landes schier zum Versiegen gebracht. Nur die Ferienzentren am Roten Meer blieben vorerst verschont. Die Tourismusbranche reagierte darauf mit einer ausgeklügelten Marketingstrategie. Das Wort "Ägypten" wurde aus vielen Reisekatalogen gestrichen, statt dessen verkaufte man "Traumwochen am Roten Meer" und "Abenteuerurlaub in den Bergen des Sinai". Während der Sommermonate landeten wöchentlich sechzehn italienische und drei deutsche Chartermaschinen auf dem Flughafen Sharm el-Sheikhs.

"Der kuschelig-gemütliche Charme grüner Komfortoasen wartet auf Sie", heißt es in der Prospektprosa einer Münchener PR-Agentur. Das ist genauso ignorant, wie es die Statements des ägyptischen Innenministers waren. Nach dem friedlichen Verlauf der UN-Weltbevölkerungskonferenz hatte Hassan al Alfi Anfang September ganz Ägypten zur terrorfreien Urlauberzone erklärt. Drei Wochen später war es mit der heilen Welt an den Gestaden des Roten Meeres vorbei. Bei einem Feuerüberfall islamischer Attentäter im Basar des Ferienzentrums Hurghada starben ein deutscher Tourist, ein Busfahrer und ein ägyptischer Student. Die Terroristen entkamen, und sie hinterließen die Botschaft, künftig auch andere Urlaubsorte am Roten Meer anzugreifen. Dennoch werden sich die internationalen Reiseveranstalter und Ägyptens Politiker vermutlich weiterhin an die Fiktion vom sicheren Sinai klammern. "Hier ist alles okay", meint General Shebl und spricht im Ton eines Mannes, der die Lage gerne im Griff hat. General Shebl ist Bürgermeister in Sharm el-Sheikh und gleichzeitig der zuständige Repräsentant für Sicherheitsfragen. Er bietet Tee an, Limonade, ein Täßchen Kaffee, nur Auskünfte sind von ihm nicht zu kriegen. Polizeipräsenz vor den Hotels? No comment! Zivile Sicherheitskräfte an den Stränden? No comment! Der Statthalter wäre erklärtermaßen zum Reden bereit, doch dafür bräuchte er zuerst eine Genehmigung des Innen-, des Informations- und Tourismusministers. "Wir leben ja schließlich in einer Demokratie", sagt General Shebl.

Wie überall in Ägypten gibt es auch in Sharm el-Sheikh keine hundertprozentige Sicherheitsgarantie. Die Touristensiedlung wird großräumig überwacht. Vom ägyptischen Festland ist der Sinai nur per Fähre oder durch einen Straßentunnel erreichbar, schon 300 Kilometer vor Sharm el-Sheikh wird das Tor zur Halbinsel von Polizeikräften kontrolliert. Auf der Zufahrtsstraße zu Siedlung stehen Soldaten an Checkpoints, nachts patrouillieren Uniformierte in den Parkanlagen der großen Hotels. Die Schutzmaßnahmen sind wohl kaum übertrieben, denn die Ferienenklave repräsentiert all das, was militante Islamisten erbittert bekämpfen: lockere Sitten, leichtes Leben, westliches Flair. "Eigentlich sind wir hier nicht in Ägypten, sondern in einer europäischen Kolonie", sagt der Tourismusagent Hesham al Ghani und zeigt unter seinem Schnurrbart ein zweideutiges Lächeln. Im fernen Kairo wurden etliche Bars in den vergangenen Monaten von den Behörden geschlossen; in Sharm el-Sheikh hingegen wummert Discomusik in den Straßen, Wein und Bier und knappe Mode aus Mailand sorgen für ein feuchtschwüles Klima. Die einzige Moschee Sharm el-Sheikhs wirkt wie ein Fremdkörper inmitten des Trubels. Entlang der Flaniermeile im Zentrum des Orts reihen sich Restaurants an Boutiquen und Souvenirshops an Kneipen. Manchmal sei das nur schwer zu verkraften, meint Hesham al Ghani. Die leichtbekleideten Frauen, der Alkohol – da erlebe man als Muslim gelegentlich einen Kulturschock im eigenen Land.

Den europäischen Gästen sind 4.000 Ägypter zu Diensten, dazu kommen etwa 300 Beduinen, die ihr Geld als Taxifahrer, Kameltreiber oder Müllmänner verdienen. Ursprünglich wollte man sie durch ein Siedlungsprogramm der Regierung zur Seßhaftigkeit zwingen: Reihenhäuser wurden für die Nomaden gebaut. Doch viele Beduinen haben ihre Unterkünfte inzwischen an ägyptische Angestellte vermietet und schlafen wieder draußen in den Sinaibergen.

Manchmal ist es eben gar nicht so einfach, ehrgeizige Pläne in die Tat umzusetzen. Dem weiteren Ausbau Sharm el-Sheikhs zum nahöstlichen Rimini sind ohnehin gewisse Grenzen gesetzt. Die Steinwüste liefert zuwenig Süßwasser, um den Bedarf Zehntausender Touristen zu decken. Tanklastwagen karren täglich Wasser aus dem hundert Kilometer entfernten Altour an die Küste, doch die expandierende Feriensiedlung braucht größere Quellen. Schon bald werde Wasser aus dem Nildelta unter dem Suezkanal hindurch in die Wüste gepumpt, verspricht Mamdouh al Zoheri, der Gouverneur des südlichen Sinai. Aber das kann noch dauern. Einstweilen setzen die Manager der großen Hotels auf private Investitionen. In den Luxusherbergen Sharm el-Sheikhs werden täglich bis zu 400 Kubikmeter Abwasser in Kläranlagen gefiltert und als Dusch- oder Düngewasser genutzt. Die Urlauber tragen übrigens aktiv dazu bei, daß die Parkanlagen in den Hoteloasen schön grünen und blühen. Spätnachts werden die Gärten mit einem Gemisch aus Klärwasser, Chlor und jenen kleinen Häufchen besprenkelt, die der ahnungslose Gast hinterläßt. Einiges stinkt eben zum Himmel in Sharm el-Sheikh.

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Basata – ein ökologisches Gesamtkonzept auf dem Sinai
von Angelika Lauck

Papyrus-Logo Nr. 11—12/98, pp. 33—36

Vor allem Anfang die Bürokratie

Im Jahre 1979 machte sich Sherif El Ghamrawy aus Kairo, Absolvent der DEO und studierter Bauingenieur, auf den Weg, sein Glück zu suchen. Er hatte beschlossen sich außerhalb Kairos, dieser großen, lauten und schmutzigen Stadt, niederzulassen. Er glaubte nicht, dass das, was landläufig von den Ägyptern als "misr" (Kairo) bezeichnet wird, das wirkliche Ägypten ist. So durchreiste er sein Land von Nord nach Süd, fuhr durch die Oasen, bis er schließlich zu guter letzt 1982 auf dem Sinai ankam. Dort gefiel es ihm. Nachdem er zuerst mit einem Strandgrundstück in Nuweiba geliebäugelt hatte, entdeckte er schließlich eine Bucht zwischen Taba und Nuweiba in Ras Burka liegend, die er ins Herz schloss und sogleich erwerben wollte. Anfragen beim Gouverneur verliefen erfolglos. Dieser konnte mit dem Anliegen eines Mannes, der auf dem Sinai Land kaufen wollte, nichts anfangen. Die Bürokratie begann ihren Lauf zu nehmen. Der Gouverneur schickte ihn zum Ministerium für Entwicklung, aber auch dort konnte man ihm nicht weiterhelfen, man schlug ihm vor, beim Ministerium für Tourismus vorstellig zu werden. Auch dies brachte jedoch keinen Erfolg.

Basata-Maskottchen
Das Basata-Maskottchen
(Zeichnung von Hany Ghabry)

Seine Odyssee durch die Mühlen der Behörden kam schließlich auch einem Filmproduzenten zu Ohren. Die Kuriosität, daß sich jemand bemüht, Land vom Staat Ägypten zu kaufen, dieser aber nicht weiß, wer für den Verkauf zuständig ist, wurde zur Grundidee einer Fernsehserie. Der Hauptdarsteller in der Serie "Was macht Sonbol mit seinen Millionen?" war Mohamed Sobhy, ein sehr bekannter ägyptischer Komödiant. So kam es, dass Sherifs Geschichte in ganz Ägypten bekannt und die Absurdität der Behördenwege zum Lacherfolg wurde.

Dies änderte aber nichts an der Tatsache, dass das Grundstück am Meer nicht zu kaufen war. Er hatte jeden Rest an Hoffnung verloren, er musste alle seine Bemühungen als gescheitert ansehen und nahm daraufhin das Stellenangebot einer deutschen Firma in Köln an. Im Herbst 1985 gab es eine Meldung im deutschen Fernsehen, dass auf dem Sinai ein Militärposten eine Gruppe israelischer Urlauber beim Aufstieg auf einen Berg erschossen hatte. Es war der Berg in "seiner" Bucht. Nun erschien sein Vorhaben endgültig passé.

Aber Anfang 1986 wurde Fuad Sultan Tourismusminister. Mit ihm änderten sich die politischen Bedingungen und das, was so aussichtslos ausgesehen hatte, sollte nun doch möglich werden. Sherif kehrte nach Ägypten zurück, schloss den Vertrag über den Kauf der Bucht mit der Regierung ab und zog im März 1986 an diesen Ort, den er "Basata" nannte, um sich seinen Traum vom "einfachen Leben" zu erfüllen.

"Das einfache Leben"

Er baute dort zuerst eine Hütte, eine Küche und einfache Toiletten. Seine ersten Gäste waren seine Familie und Freunde, wenig später kamen die ersten Reisenden und mieteten sich bei ihm am Strand ein.
Er bekochte sie anfangs selber, später dann, als das Hüttendorf größer wuchs, suchte er sich aus allen Teilen Ägyptens Angestellte, deren Zahl mittlerweile auf 10 angewachsen ist.
Schon im September 1986 kam eine junge deutsche Frau namens Maria mit einer Freundin in das Basata Camp. Ihr gefiel der Platz so sehr, dass sie von da an jährlich zurückkehrte. Seit 1991 lebt sie nun ständig dort – als Ehefrau und Geschäftspartnerin von Sherif El Ghamrawy.

Im Laufe der Jahre wuchs das Dorf in der schönen Bucht auf beträchtliche 17 Wohn-Hütten an. Außerdem entstanden eine Gemeinschaftshütte, die Rezeption, in der immer wieder andere junge Leute bei der Betreuung der Gäste helfen, ein Küchenhaus, Unterkünfte für die Arbeiter und zwei Toilettenhäuser mit je vier Duschen und ca. 20 Toiletten.

Seit einiger Zeit gibt es auch feste Häuser auf dem Gelände. Das erste dieser Art war das Privathaus von Sherif und Maria. Nachdem sie erst allein und später dann mit ihrer kleinen Tochter Soheila in einer der Bambushütten gewohnt hatten, konnten sie 1995 dort einziehen. Es entstanden weitere Häuser als Unterkünfte für die Angestellten und vor zwei Jahren wurde auch der Kindergarten fertiggestellt, der dann im Februar 1997 unter Leitung einer jungen Deutschen seine Arbeit aufnahm. Die Tochter der El Ghamrawys, die jetzt fünf Jahre alt ist, und drei Beduinenkinder gehen täglich mit großer Freude in das freundlich eingerichtete Gebäude.

Weiter entstehen zur Zeit Chalets, die nach Fertigstellung als Ferienhäuser vermietet werden sollen. Die festen Häuser sind Bestandteil der Vertragsvereinbarungen mit der Regierung. Dass sie nicht aus Beton gebaut sind, gehört zum Konzept des Besitzers. Er hat sich von Anfang an zur Aufgabe gemacht, im Einklang mit der Natur zu bauen. So bestehen die Hütten aus Bambus und Stroh, und die Häuser sind in traditioneller ägyptischer Bauweise aus Lehmziegeln und im Hassan-Fathi-Stil errichtet.

Umweltschutz als Lebensprinzip

Die ganze Anlage ist ein durchdachtes Gesamtkonzept. Das beginnt schon mit der Entsorgung des Abfalls, der im Camp anfällt. Er wird von jedem Besucher in die dafür vorgesehenen Behälter nach Glas, Plastik, Metall, sowie organischen Stoffen getrennt. Die Plastikflaschen werden vor Ort geschreddert und ebenso wie das Metall und das Glas zum Recycling weitergegeben. Organisches wird an die Tiere – das Kamel, die Ziegen, den Esel – verfüttert. Zum Recyceln gekochter Essensreste – es gibt nur vegetarische oder Fischgerichte bei Sherif – hält er Enten und Hühner, diese legen dafür nette kleine schmackhafte Eier, Tauben, die sind hauptsächlich dazu da, Dünger zu produzieren, und Katzen, die fressen die Fischreste und halten die Anlage von Mäusen frei.

Zur Wasserversorgung ist zu sagen, dass Meerwasser für Duschzwecke entsalzen wird. Durch Wassersparer kann der Wasserverbrauch im Camp erheblich reduziert werden, und nur eine relativ geringe Entsalzungskapazität ist nötig. Es sind augenblicklich drei solcher Anlagen in Betrieb, wovon eine 1.600 Liter, zwei andere je 25 Kubikmeter Süßwasser pro Tag produzieren können. Bei der Zubereitung von einem Kubikmeter Süßwasser bleiben allerdings 4 Kubikmeter Wasser mit hohem Salzgehalt übrig. Dieses wird dann für die Toilettenspülung benutzt oder zusammen mit Stroh, Lehm und Dung zur Herstellung von Mörtel und Lehmziegeln für den Hausbau verwendet.

Zur Entsorgung der Toilettenabwässer dienen zwei unterschiedliche Behälter: Der eine nimmt die Fäkalien auf, der andere das Duschwasser. Die Fäkalien werden abgesaugt und nach Nuweiba zur Entsorgung gebracht, manchmal aber auch einfach in einem Wadi abgelassen, wo sie schnell austrocknen. Das Duschwasser findet seine Verwendung bei der Bewässerung der Pflanzen. Die Küche hat vier Behälter für süßes und salziges Wasser. Das normale Abwaschwasser wird zur Bewässerung genutzt. Mit Speiseölen und -fetten belastetes Wasser wird ebenfalls abgesaugt und abtransportiert.

In Basata herrscht im wahrsten Sinne des Wortes ein "einfaches Leben". Aber es ist für alle Besucher klar erkennbar, worauf man sich einlässt. Beim ersten Eintreffen bekommt man eine Einweisung in die Regeln des Camps, so dass jeder, dem diese Bedingungen nicht gefallen, wieder gehen kann. So bleiben meistens Besucher übrig, die einen ähnlichen Anspruch an den Umgang mit der Natur und eine ähnliche Vorstellung von Urlaub haben.

Tourismus bedroht Lebensgrundlagen

Für alle, die den Sinai noch vor drei Jahren kannten, ist eine deutliche und schnell fortschreitende Veränderung sichtbar. Von der Regierung wurde vor einiger Zeit die Parole ausgegeben, den Sinai touristisch auszubeuten. Das bedeutet viele neue Hotels, ganze neue Städte, viele Pauschaltouristen; Lärm und hohes Verkehrsaufkommen sind in den nächsten Jahren zu erwarten.

Auf die Frage wie er dieser Entwicklung entgegensehe, betonte Sherif el Ghamrawy, ein Hauptproblem sei die Aufbereitung des Wassers. Die Hotels werden ihren Gästen ausreichend entsalzenes Wasser anbieten wollen, das bedeutet, sie müssen in großem Maßstab Meerwasser aufbereiten. Wo aber bleibt das Restwasser mit dem hohen Salzgehalt? Sollte es in Küstennähe ins Meer eingeleitet werden, würden die Fische und Korallen sterben, und bald wäre das Juwel "Rotes Meer" ein "totes Meer"! Nach seiner Meinung müsste es strenge Auflagen geben, die verlangen, dass die Salzlake z.B. in Brunnen versenkt wird, was andererseits aber die Gefahr der Vermischung mit dem Grundwasser in sich birgt oder weit hinaus ins Meer geschafft wird, was sicherlich ein größeres logistisches Problem darstellt.

Der Umweltschutz auf dem gesamten Sinai liegt Sherif sehr am Herzen, weshalb er vor zwei Jahren die NGO Hemaya gegründet hat. Ein sehr aktuelles Anliegen dieser NGO ist die Beseitigung des Mülls, der schon jetzt überall in der Landschaft herumliegt. Ebenso strebt diese Organisation die Schaffung von Stränden für die Einwohner der Ortschaften des Sinai an, wo sie sich ungestört von Touristen ihren eigenen Vorstellungen, Gebräuchen und Traditionen gemäß aufhalten können.

Auch für sein Camp wird die starke touristische Nutzung des Sinais Folgen haben. Das Publikum auf dem Sinai wird sich ändern. Um der Neugierde von Zaungästen vorzubeugen, die zwangsläufig größere Unruhe in die Anlage bringen würden, wird er irgendwann die Zahl seiner Arbeiter erhöhen und zusätzlich Boabs einstellen müssen, die das Gebiet von unerwünschtem Besucherandrang freihalten.

Sherif ist der Meinung, dass man den Sinai als ganzes zum Nationalpark hätte machen sollen. Auch mit einer weniger intensiven touristischen Nutzung, so seine Überzeugung, könnten bei einer wesentlich geringeren Schädigung der Umwelt hohe Einnahmen für das Land erzielt werden. Er empfindet den Ausverkauf der Strandabschnitte als verantwortungslos gegenüber den nachfolgenden Generationen. "Sie werden die Resultate präsentiert bekommen und keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten mehr haben. Der Beton wird seine Spuren hinterlassen", so El Ghamrawy.

Er wird sich jedoch weiterhin zusammen mit den Mitgliedern der NGO Hemaya und hoffentlich noch vielen anderen vernünftig denkenden Menschen für die Belange der Natur auf dem Sinai einsetzen. Er hat viele Ideen, und einige Vorhaben, darunter die Gründung einer Zwergschule und die Einrichtung eines Zentrums für Öko-Tourismus sind bereits in der konkreten Planung.

PAPYRUS wünscht ihm und seiner Familie, die sich am 13. Oktober 1998 um den Sohn Faris vergrößert hat, alles Gute.

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Ägyptens Naturschätze in Gefahr
Unterwegs zu einem "zukunftsfähigen" Tourismus?

von Katrin Speicher

Papyrus-Logo Nr. 11—12/99, pp. 35—36

Der Jahrtausendwechsel steht vor der Tür. Stellen Sie sich vor, Sie seien einer von unzähligen Pilgern, die sich auf den Weg in den Nahen Osten machen, um das Jahr 2000 an den Heiligen Stätten zu begrüßen. Eine der Stationen Ihrer Reise ist der Mosesberg, auf den die Zehn Gebote herabgesandt wurden. Sie sind gespannt auf diese spirituelle Erfahrung in der einsamen majestätischen Wüstenlandschaft des Süd-Sinai, welche Erinnerungen an die israelitischen Stämme heraufbeschwört, die vor ungefähr dreitausend Jahren in dieser abgelegenen gebirgigen Wildnis umherwanderten.

Sollten dies Ihre Erwartungen sein, so werden Sie vermutlich enttäuscht werden. In den letzten ein bis zwei Jahrzehnten hat sich das Gesicht des Sinai dramatisch und in rasendem Tempo gewandelt. Ursache: der Tourismus.

Im Müll stöbernde Kamele, Taucher, die Autoreifen und Benzinkanister aus Korallenriffen bergen, allgegenwärtige Fliegenschwärme, der beißende Geruch leckender Abwassertanks und Korallenriffe, die langsam von aufgewirbeltem und angespültem Sand erstickt werden – dies sind nur einige der augenfälligsten Anzeichen einer fortschreitenden Zerstörung, die im Inneren und an der Küste des Sinai immer deutlicher zu Tage tritt.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind die einzigartige Landschaft des Sinai und die Millionen von Jahre alten Korallenriffe des Golfs von Aqaba bedroht. Beide sind in Gefahr, Opfer einer kurzsichtigen Wachstumsphilosophie zu werden, die unter Umständen sogar die Wünsche derjenigen ignoriert, denen entgegenzukommen sie vorgibt: der Touristen.

Obwohl die Region drei Naturreservate beherbergt (Ras Muhammad, Abu Gallum und Nabq) steht der bei weitem größte Teil des Süd-Sinai trotz seines kostbaren marinen Ökosystems und seiner phantastischen landschaftlichen Schönheit nicht unter Naturschutz.

Mit dem Argument, daß eine sich rasch entwickelnde Tourismusindustrie Arbeitsplätze schafft, werden Naturschutzbemühungen mit Verweis auf das ökonomische Allgemeinwohl zurückgestellt. Bislang fragt noch kaum jemand in Ägypten, ob es vertretbar ist, ein nationales Naturerbe und einen biologischen Schatz ersten Ranges dem Wachstum eines wirtschaftlichen Sektors zu opfern, der in höchstem Maße von äußeren Faktoren abhängt, instabil und verwundbar ist.

Doch besteht tatsächlich soviel Grund zum Pessimismus? Wäre dagegen nicht einzuwenden, daß die TDA (Tourism Development Authority) nach eigenem Bekunden das Konzept eines nachhaltigen Tourismus an den ägyptischen Küsten unterstützt und propagiert? Und hat sie nicht in Zusammenarbeit mit USAID, der amerikanischen Entwicklungsbehörde, sogar ein Handbuch herausgegeben, welches sämtliche Anweisungen und Informationen enthält, die Investoren brauchen, um neu zu errichtende Ferienanlagen am Golf von Aqaba und der Küste des Roten Meeres möglichst umweltverträglich zu konzipieren? Existieren nicht Zusammenschlüsse von Investoren wie die TIA (Tourism Investors Association), die sich gegründet haben, um nach Möglichkeiten und Wegen zu suchen, ihre Projekte umweltverträglicher zu gestalten – weil sie eingesehen haben, daß Umweltschutz auch den Schutz ihrer Investition bedeutet?

Zugegeben: Derartige Initiativen gibt es; sie haben sich in den vergangenen Jahren formiert. Die Realität jedoch sieht fast durchweg anders aus.

Nehmen wir den ästhetischen Aspekt: Die Straße von Sharm El Sheikh nach Taba ist jetzt schon gesäumt von zahlreichen überdimensionierten Hotelanlagen, die in der Regel kein bißchen attraktiver sind und sich der Landschaft nicht besser einfügen, als ihre lieblosen Gegenstücke in Spanien, der Türkei oder anderen Zielorten des Massentourismus. Doch dies soll erst der Anfang sein: Momentan ähnelt der Süd-Sinai einer einzigen riesigen Baustelle, auf der ein geschmackloser architektonischer Ausrutscher nach dem anderen aus dem Boden schießt. In Nabq und Taba befinden sich komplette Touristenstädte mit Raum für Zehntausende von Touristen im Bau.

Es kommt hinzu, daß Baugenehmigungen bevorzugt für die Errichtung großer Fünf-Sterne-Hotels vergeben werden, die nach Wunsch und Plan der Behörden sogenannten "Qualitätstourismus" anziehen sollen. Landbesitzern und Investoren, die bereit sind, umweltverträglichere Alternativen zu erproben – wie z.B. kleine Touristendörfer oder die klassischen einfachen Hüttendörfer, für die der Sinai berühmt ist – wird von den zuständigen Behörden die Baugenehmigung verweigert. Das Konzept eines "Qualitätstourismus" scheint sich bislang für die Planer auf die Qualität der Anlagen zu beschränken. Wo aber bleibt die Qualität der sie umgebenden Natur? "Klotzen statt Kleckern" ist offensichtlich die Devise, und nichts deutet darauf hin, daß eine behutsamere Entwicklung von offizieller Seite gefördert würde.

Nehmen wir als ein weiteres Problemfeld die Entsorgung von Müll und Abwasser. Es ist schwer vorstellbar, daß die Massen an Abfall und Abwasser, die in derart riesigen Ferienanlagen anfallen, die Umwelt nicht in einem Maß belasten werden, das kritisch für das umgebende Ökosystem ist. Dies gilt selbst dann, wenn eine ordnungsgemäße und geregelte Entsorgung aufrechterhalten wird. Denn keine Form der Entsorgung läßt die Umwelt völlig unbelastet. Entsorgung schafft Abfälle nicht aus der Welt, weshalb die einzig tatsächlich umweltfreundliche Variante eben die Abfallvermeidung ist. Und – ist denn zumindest sichergestellt, daß es ein die Schäden minimierendes Abfallmanagement geben wird, das in etwa den Anweisungen des TDA-Handbuches entspricht? Die bislang noch an jeder Ecke sich türmenden Müllberge lassen dies mehr als zweifelhaft erscheinen.

Zudem: wie sollen Korallenriffe unversehrt bleiben, die Jahr für Jahr von Zigtausenden von Besuchern besichtigt werden? In einem derart sensiblen und verletzlichen Ökosystem ist das Planziel hoher Besucherzahlen als solches das Problem – ein Problem, das durch richtige Planung und gutes Management eben allenfalls gemildert, nicht aber aus der Welt geschafft werden kann.

Nehmen wir zum guten Schluß die Lärmbelästigung: Der Verkehr auf der Küstenstraße nimmt beständig zu. Dasselbe gilt für den Geräuschpegel, den Flugzeuge, Boote, Bars und Strandanimation verursachen. Der Sinai ist kein Ferienziel mehr für Touristen, die im Urlaub Ruhe suchen.

Fraglich ist angesichts dieser Entwicklung, ob Initiativen, die einem zukunftsfähigen Tourismus zum Durchbruch verhelfen wollen, in der Lage sein werden, ihre Botschaft zu verbreiten, solange es noch etwas zu retten gibt. Werden sie es schaffen, sich Gehör zu verschaffen, trotz der Goldgräberstimmung, die in Erwartung hoher Gewinnspannen unter Tourismusmanagern und Teilen der Regierungsplaner ausgebrochen ist?

Bislang klafft noch eine weite Lücke zwischen der Praxis und dem Ideal zukunftsfähiger Entwicklung und niemand scheint sehr viel aus den Fehlentwicklungen gelernt zu haben, unter denen bereits seit Jahrzehnten überall auf der Welt Ziele des Massentourismus leiden.

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Zurück in die Zukunft
Die Ökolodge: eine alternative, umweltfreundliche Touristenherberge

aus: "medina" Ausgabe 11, Januar/Februar 2000
übersetzt und bearbeitet von Petra Post und Ingrid Handwerker

Papyrus-Logo Nr. 1—2/2001, pp. 15—18

Gegen Ende des zweiten Jahrtausends ist eine neue Form des Tourismus entstanden. Sie verspricht Menschen, die dem Stress des modernen Lebens entfliehen wollen, Nähe zur Natur und Verständnis für die Kultur des Gastlands. Denn mehr und mehr Touristen lehnen traditionelle Urlaubsreisen ab. Die Besichtigung archäologischer Ausgrabungsstätten, Vogelbeobachtungen, Fotosafaris, Expeditionen in Wüstengebiete, historische Touren und die Interaktion mit fremden Kulturen sind neue Formen der Freizeitgestaltung, die diese Zielgruppe ansprechen und sie in unberührte Gegenden führen. Der neue Trend sind Kulturreisen, auch Ökotourismus genannt.

Vor einem Jahrzehnt war der Begriff Ökotourismus noch weitgehend unbekannt. Er bietet die Möglichkeit, das natürliche und kulturelle Erbe einer Region oder eines Landes zu bewahren und zu einer schonenden Entwicklung im Bereich des Tourismus beizutragen. In der Literatur wird er definiert als umweltbewusstes Reisen in noch unberührte Gebiete, um die natürlichen und kulturellen Gegebenheiten zu genießen, zu studieren und wertschätzen zu lernen.

Die Nachfrage noch Ökotourismus und naturorientierten Reisen ist eindeutig steigend. Der Welttourismusorganisation zufolge hat sich der Ökotourismus zum am schnellsten wachsenden Bereich der gesamten Tourismusindustrie entwickelt. Naturtourismus, der den Ökotourismus einschließt, macht schätzungsweise 15% von den gesamten internationalen Ausgaben der Branche aus. Da dieser Bereich weiter expandiert, steigt die Nachfrage nach sorgfältig geplanten und umweltverträglichen Einrichtungen.

Die Antwort sind Ökolodges: Unterkünfte in kleinem Rahmen, die den Besucher etwas über die Natur und die Kultur einer Region erfahren lassen und sie ihm nahe bringen. Das Ökolodge-Konzept sieht vor, dass Gebäude und andere notwendige Einrichtungen nur im Einklang mit der natürlichen Umgebung und innerhalb des kulturellen Rahmens errichtet werden dürfen.

Die Tourismusindustrie in Ägypten konzentrierte sich traditionell auf Kultur und Geschichte, vor allem in Hinblick auf seine Altertümer, die zu Recht weltweit einen exzellenten Ruf genießen. In den letzten fünfzehn Jahren jedoch wurden andere Gebiete in großem Rahmen touristisch erschlossen. Die Küsten des Roten und des Mittelmeeres, der Sinai und die Westliche Wüste mit ihren wunderbaren Oasen warten mit spektakulären Naturschauplätzen auf. Manche dieser Gebiete wurden aufgrund der hohen touristischen Nachfrage bereits in Mitleidenschaft gezogen; bei anderen litt das ökologische Gleichgewicht unter dem groß angelegten Bau vom Hotelanlagen. Es besteht also ein dringender Bedarf an einem umweltbewussten Tourismuskonzept, das sich für die Bewahrung der natürlichen und kulturellen Reichtümer dieses Landes stark macht.

Der Begriff Ökolodge wurde von der Tourismusindustrie geprägt und bezeichnet eine Einrichtung, die den Prinzipien des Ökotourismus entspricht. Solch eine Einrichtung wurde nach Umweltschutzkriterien geplant und wird auch diesen Kriterien gemäß betrieben. Dem mexikanischen Architekten und Tourismusexperten Hector Ceballos zufolge ist das Wichtigste an einer Ökolodge, dass sie nicht das Wichtigste ist. Was zählt, sind eine intakte Umgebung, die nahe gelegenen natürlichen und kulturellen Attraktionen, die Art, wie Einheimische beim Bau von Ökolodges mit einbezogen werden, und wie der Ökotourismus gehandhabt und vermarktet wird. Ökolodges erhöhen den wirtschaftlichen Wert natürlicher Ressourcen und erweitern den kulturellen Horizont der Besucher. Eine Ökolodge respektiert die natürliche Umgebung und ist im Einklang mit der Landschaft und der Kultur der Region, da sie aus recycelten oder mit vor Ort hergestellten Materialien erbaut wurde. Sie wird mit Solarenergie oder einer anderen alternativen Energieform betrieben, recycelt ihren Müll und das Abwasser, serviert in der Region angebaute oder produzierte Nahrungsmittel und lässt einen Teil des Gewinns in der Regel örtlichen Natur- und Umweltschutzprojekten zukommen. Sie befindet sich in einheimischem Besitz und steht unter lokaler Leitung. Zudem bietet sie dem Besucher eine Art Umwelterziehung, um Verständnis für unseren Planeten und seine natürlichen Schätze zu wecken sowie ein Bewusstsein für die Bevölkerung des Landes zu entwickeln. Zwischen traditionellen Touristenunterkünften und Ökolodges gibt es zahlreiche Unterschiede, aber auch ein paar Gemeinsamkeiten, da beide vermarktet werden müssen und nach Gewinnoptimierung streben. Der Hauptunterschied besteht darin, dass in einer traditionellen Touristenherberge sämtliche Attraktionen, Einrichtungen und Aktivitäten einen künstlichen Charakter haben, während die Hauptattraktion der Ökolodges die Natur selbst und das kulturelle Erbe der Region sind – was zu einem besseren Verständnis und einer größeren Wertschätzung der natürlichen Umgebung führt.

Jedes Ökolodge-Projekt erfordert einen neuen architektonischen Ansatz, auch Ökodesign genannt. Dabei müssen vier Kriterien berücksichtigt werden:

  • Designlösungen ergeben sich aus den natürlichen Gegebenheiten eines Ortes und seinem kulturellen Rahmen,
  • das Design sollte auf Umweltkriterien Rücksicht nehmen,
  • die Bevölkerung vor Ort sollte bei der Planung sowie dem Bau mit einbezogen werden, da diese im Laufe der Zeit wertvolle Erfahrungen diesbezüglich sammeln konnte,
  • das Design sollte sich harmonisch in die Landschaft einfügen und eine Einheit mit der natürlichen Umgebung bilden. Es gibt verschiedene Projekte rund um den Erdball, die dieses Konzept umsetzen, wobei Kenia, Südafrika, die Malediven, Singapur, Costa Rica und Ecuador auf diesem Gebiet führend sind.

In Ägypten gibt es bisher vier touristische Anlagen, die die oben genannten Kriterien zumindest teilweise erfüllen: das Basata Camp, das Castle Beach Resort, das Meditation Resort an der Nuweiba-Taba-Straße am Golf von Aqaba und das Safari Camp im Wadi El-Rayyan in der Nähe von Fayum. In diesen Einrichtungen wurde eine Fragebogenstudie durchgeführt, ergänzt durch persönliche Interviews mit Besitzern, Angestellten und Gästen. Die Untersuchung ergab ein unterschiedlich hohes Maß an Umweltfreundlichkeit bezüglich der verwendeten Baumaterialien, der Einrichtungen und Aktivitäten sowie der Müllverwertung. Es kristallisierten sich mehrere positive Aspekte heraus:

  • Die natürlichen Ressourcen und das Leben in der Wüste werden geschätzt und erhalten.
  • Der besondere Charakter der Wüste wird bewahrt und durch eine ortsangepasste Architektur hervorgehoben.
  • Die Verwendung von natürlichen und biologisch abbaubaren Materialien wie Bambus, Schilf, 'beit shaar' (Stoff aus Schafswolle, der als Verbindungselement in der Holzkonstruktion verwendet wird) und Holz ist umweltfreundlich und unterstützt die Wirtschaft vor Ort. Diese Materialien lassen sich auf unproblematische Weise sich ändernden Bedürfnissen anpassen.
  • Der Abstand zwischen den einzelnen Bauten lässt genügend Raum für die Privatsphäre der Besucher.
  • Die allgemeine Atmosphäre fördert ein Bewusstsein und die Wertschätzung für die Umgebung und die lokale Kultur.
  • Die Art und Weise des Managements hat im Idealfall für Angestellte und Besucher einen erzieherischen Wert.
  • Durch das Fehlen moderner Unterhaltungseinrichtungen werden soziale Interaktion und Kommunikation gefördert.
  • Die einheimische Bevölkerung wird einbezogen und profitiert davon.
  • Es wurden nur geringe Mengen an Bauschutt produziert.

Dieser Untersuchung zufolge ist das Basata Camp die ökofreundlichste Anlage. Im Gegensatz zu anderen Komplexen wurde sie ausschließlich mit natürlichen Materialien erbaut, und wenngleich keine ökologischen Designtechniken Verwendung fanden, so wurden energiesparende Methoden berücksichtigt. Dieselgeneratoren versorgen die Anlage mit Energie; die Stromversorgung beschränkt sich jedoch auf die Gemeinschaftseinrichtungen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vier ökofreundlichen Touristenanlagen ehrlich gemeinte, aber noch unzulängliche Versuche darstellen, umweltfreundliche Anlagen zu konzipieren und zu leiten, und vorwiegend auf den Ideen und Vorstellungen natur- bzw. wüstenbegeisterter Besitzer und Bauherren beruhen. Es besteht jedoch das Bedürfnis nach detaillierten Richtlinien, um sicherzustellen, dass grundlegende Ökolodge-Prinzipien berücksichtigt werden. Als Reaktion darauf erarbeitete die ägyptische Tourism Development Authority (TDA) unter der Leitung von Dr. Adel Rady in Absprache mit dem Autor allgemeine Empfehlungen und Richtlinien für die Anerkennung von Ökolodges. In diesem Zusammenhang wird ein breites Spektrum an kritischen Themen angesprochen und Fragen wie Planung, Landschaftsgestaltung, Architektur, Energieversorgung und Müllverwertung erörtert. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass das Design einer Ökolodge ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Umwelt herstellen und der Eingriff in die Natur so schonend wie möglich sein sollte. Darüber hinaus veröffentlichte TDA Broschüren zu dem Thema, wie eine Ökolodge im ägyptischen Kontext aussehen könnte, um Investitionen in Ökolodges und umweltfreundliche Projekte allgemein zu fördern und um eine Diskussion zu alternativen Tourismusformen anzuregen.

Die Umsetzung dieser Empfehlungen und Richtlinien stellt eine große Herausforderung dar, denn Ägypten verfügt über vier verschiedene Ökosysteme: Wüste, Meer und Küste, Flusslandschaften und Feuchtgebiete. Jedes dieser Systeme ist auf seine Art einzigartig und von großem landschaftlichen Reiz, es hat einen eigenen Charakter, ein spezifisches kulturelles Erbe und eine eigene traditionelle Bauweise. Es könnten also vier verschiedene Typen von Ökolodges für diese Landschaften entwickelt werden.

Ägyptens Potential als Reiseland beruht auf seinen Naturschönheiten. Ökolodges könnten deshalb eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes spielen, indem sie Devisen ins Land bringen und Arbeitsplätze schaffen sowie seine natürlichen Ressourcen und Kulturgüter bewahren helfen. Um dieses Ideal zu gewährleisten, müssen klare Richtlinien und exakte bauliche Vorgaben für alle vier Ökösysteme erarbeitet und anschließend umgesetzt werden. Man geht davon aus, dass das Ökolodge-Design und -Konzept der Zukunft traditionelle Techniken in hochmoderne Energiesparmethoden einbeziehen und für Architekten und Stadtplaner gleichermaßen interessant sein wird.

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Mosesberg – Gedanken eines modernen Pilgers
von Ekkehart Schmidt

Papyrus-Logo Nr. 11—12/90, pp. 49—53

Wohl jedem, der das erste Mal tief unten an der mächtigen Wehrmauer des Katharinenklosters sein Ränzlein schnürt und dabei die Augen an der Steilwand des schwarzglänzenden Bergmassivs entlang bis hoch in den Himmel wandern läßt, kommt ein ähnliches Bild in den Kopf. Ein Bild, seltsam verklärt und ohne klare Konturen. Ich sehe mich alleine auf dem Gipfel stehen, über dem sich wie im Olymp drohend die Wolken zusammenziehen. Es ist ein Traum von der reinen Stille und von der Mächtigkeit des biblischen Erlebens, den ich mir ausmale. Alle irdische Hektik ist weit entfernt, die Welt scheint unberührt zu sein. Ich stehe wie auf der letzten Stufe in den Himmel. Nirgendwo ist Gott näher. Jetzt spinnt die Phantasie von alleine weiter. Ich befinde mich in einem naiv-gewaltigen Fresko an der Wand einer mittelalterlichen Kapelle. Unter Blitz und Donner öffnet sich im Sturm die Wolkenwand und Gott reicht mir die Gesetzestafeln herunter.

"Want to ride camel?" – Einige Beduinen warten hier am Anfang des Weges auf Kundschaft. Etwa 750 Höhenmeter sind zu bewältigen, das Kloster liegt schon über 1.500 m hoch. Zwei Wege führen hinauf. Der erste beginnt hinter der Rückenmauer des Klosters und schlängelt sich durch die Geröllhalden des Berges zu einer schmalen Schlucht, die steil aufsteigt. Dort beginnt die uralte Pilgertreppe, erbaut von einem Mönch in Erfüllung eines Gelübdes. 6.666 "Stufen" (oft lediglich aufeinander gestapelte Felsbrocken) sollen es sein – eine eher symbolisch zu nehmende Zahl. Es ist zwar der direkte und schnellste Weg auf den Gipfel, doch verlangt er eine ausgesprochen gute Kondition.

Für den Aufstieg wählen wir den bequemen jüngeren Weg, erst vor wenigen Jahrzehnten angelegt, der an der Südwestecke des Klosters beginnt. Dieser Sikket Saidna Musa, der "Pfad unseres Herren Moses" verlangt keinerlei bergsteigerische Erfahrung. In sachten Serpentinen zieht er das Tal hoch, auf den grünlich schimmernden Djebel Monega (1.854 m) zu. Kurz vorher biegt der Weg rechts ab auf ein Zwischenplateau. Von hier ist erstmals der eigentliche Gipfelberg zu sehen. An einer Steinhütte trinken wir einen Tee. Die beiden Beduinenjungen verlangen hier schon zehn Piaster mehr für ein Glas, als in den ersten zwei Rasthäusern. Auf dem Gipfel kostete Anfang 1988 ein Glas noch 50 Piaster. Heute ist der Preis schon bei einem Pfund angelangt – einfache marktwirtschaftliche Gesetze veranschaulichend.

Es geht nun am Fuß des senkrechten Gipfelmassivs quer hinüber zu einem in den Fels geschlagenen Durchlaß, der den Blick auf das tiefer gelegene "Elias-Plateau" freigibt. Hier stoßen wir auf den letzten Abschnitt der Pilgertreppe, als Warnung für Wanderer mit mehr Sitz- als Muskelfleisch, "Bußtreppe" genannt. Wir fragen uns, warum es jedem zweiten Reiseführer notwendig erscheint, hier nüchtern exakt anzumerken, es handele sich um 734 Stufen (und insgesamt nur 3.000). Es sind 6.666. Niemand vermag sie zu zählen, es sei denn, er legt eine fundierte Abgrenzung zwischen natürlichen Felsabsätzen und nachträglich eingeführten Treppenstufen bei. Nur schweißtreibend ist diese letzte halbe Stunde mit Sicherheit. Dann taucht vor uns das kleine, stets verschlossene Gipfelkirchlein auf, erbaut 1934 aus den Steinen früherer Kirchen.

Etwa 20 Wanderer sind schon vor uns angekommen, viele machen sich nach dem Sonnenuntergang wieder an den Abstieg. Andere tappen erst nach Einbruch der Nacht die letzten Stufen hoch. Ein Dutzend hat Schlafsäcke dabei, die halbwegs windgeschützt auf dem schmalen Geviert zwischen Kirche und kleiner Moschee ausgerollt werden. Der Gipfel ist auch Moslems heilig. Der turm- und schmucklose Steinbau ist nur durch einen aufgesetzten Halbmond zu erkennen. Die Gebetsstätten zu Ehren Mose, der von allen drei monotheistischen Religionen verehrt wird, erinnert noch an zwei weitere Ereignisse. In der 17. Koransure ("Die Nachtreise") deutet Mohamed an, er sei in einer Nacht (des Jahres 621) von Medina nach Jerusalem und zurück gereist. Von der Felsplatte des Tempelberges in Jerusalem aus sei er – so eine spätere Legende – in den Himmel aufgestiegen, um die Inspiration zum Islam zu empfangen. In einer weiteren Version soll Al Burak ("der Blitz"), das Pferd des Propheten, dabei auf der obersten Stufe der Gipfeltreppe des Mosesberges letzten Schwung genommen haben.

Von hier aus stieg auch Nabih Salih, der größte Heilige der Sinaibeduinen, in den Himmel auf. Er allerdings ritt dabei auf einem Kamel, dessen vier Hufe gleichzeitig von hier, Kairo, Mekka und Damaskus abhoben. Sein Kuppelgrab, auf einem Hügel, ist das erste Gebäude, welches der Reisende nördlich des Katharinenklosters zu Gesicht bekommt.

Es fällt schwer, über die Stunden auf dem Mosesberg zu schreiben, ohne in eine schwülstige Sprache abzugleiten. Es ist kaum vermeidbar, will man mehr als die Schilderung einer Bergbesteigung versuchen. "Es ist bekannt, daß in fast allen Mythen frühzeitlicher Völker Berge und deren Gipfel eine beherrschende Rolle spielen als sichtbare Verbindung ihrer Verwurzelung in der Unterwelt und der Vereinigung mit dem Himmel, dem Sitz der Gottheit." (Hans Strelocke)

Viel stärker als an den christlichen Pilgerstätten Israels wirkt hier die Kraft der biblischen Geschichte. Es gelingt ihr, mich auch als wenig religiösen Menschen des späten 20. Jahrhunderts mit ursprünglicher Frische zu faszinieren. In Israel mußte ich mir die nötige Bibelfestigkeit erst anlesen, um mehr als ein Baurelikt zu sehen. Ich empfand eine fast pflichtschuldige Ehrfurcht, mehr nicht. Naßgeschwitzt und glücklich-erschöpft in 2.285 m Höhe im eiskalten Abendwind zu stehen und hinter vielfach gestaffelten Bergkämmen – jedes Profil in einem anderen Grauton – die Sonne untergehen zu sehen, das bleibt tiefer haften. Ich fühle die mythische Kraft dieser Urlandschaft. In ihr offenbart sich für mich "Gott", ich begreife die Gottes-Idee. Altes Testament und neue Reiseführer müssen Umwege gehen: "Hier offenbarte sich Gott den Menschen mit seinem Namen und mit seinem Wesen zum ersten Mal", hier "schloß Gott mit den Menschen seinen Bund", lesen wir.

Im zweiten Buch Mose 19 und 20 (Exodus) heißt es: "Als der Morgen graute, da dröhnte Donner vom Berg Sinai, Blitze zuckten aus dichtem Gewölk über den Berg, und starker Posaunenschall ertönte, so daß jeder im Lager erzitterte. Da führte Mose das Volk aus dem Lager und alle stellten sich am Fuß des Berges auf. Der ganze Berg Sinai war in Rauch gehüllt, denn Gott war gegenwärtig im Feuer, und der Berg bebte." Die Menschen des Beduinenstammes der Habiru zitterten, blieben ferne stehen und sagten zu Mose: "Sprich Du zu uns, so wollen wir hören. Aber nicht Gott soll zu uns sprechen, damit wir nicht sterben." So stieg Mose alleine auf den Berg, um das Gesetz entgegenzunehmen.

Dort begriff Mose, wie klein und unbedeutsam der Mensch im Schatten eines Gebirges ist, auch wenn damals noch kein Beduinendorf winzig im Tal zu sehen war. Die unzähligen ausgetretenen Trampelpfade von Schafen und Ziegen jedoch, die die Talhänge netzartig überziehen, haben vielleicht schon ihm gezeigt, daß die Welt der Menschen von einer höheren Warte aus höchst vergänglich erscheint. Der Mensch ist zu klein, um selbst gesehen zu werden. Erkennbar sind nur durch ständige Wiederholung ausgeprägte Spuren, die sein Dasein erst sichtbar machen.

Kaum daß sich die Sonne verabschiedet hat, wird es schlagartig kalt. Der Beduine in der Ecke des zweiten niedrigeren Plateaus hat nicht mehr genug Gläser, um den Durst zu löschen. Sein Teekessel ist mit acht bis zehn Litern Inhalt sicher einer der größten im Sinai. Aufgeklappt daneben steht ein großer Koffer voller Kekse, Süßigkeiten und Zigaretten. Drei Tage und Nächte bleibt er hier oben, dann wird er von einem Freund abgelöst, der frisches Wasser hinaufträgt.

Bald schlüpfen wir in die Schlafsäcke, das Kopfende an einem flachen Mäuerchen, hinter dem es 100 m steil hinunter geht. Ein Bonner Theologiestudent hilft uns bei der Aufzählung der zehn Gebote. Stefan, mein Nachbar, zaubert eine israelische Rakiflasche hervor. Eine Woche hat er Urlaub vom Kibbuz. Schnell angetrunken zählen wir die unendliche Sternenmenge über uns, ungetrübt von jeglichem Großstadtlicht. Nicht umsonst ist auf einem Nebengipfel des benachbarten Djebel Katrina schon 1932 ein Observatorium des kalifornischen 'Smith Meteorological Institute' entstanden.

Bis Mönche im 8. Jahrhundert auf dem Hauptgipfel dieses mit 2.639 m höchsten Berges Ägyptens den Leichnam der Heiligen Katharina fanden, hieß der Djebel Jethro – benannt nach einem Beduinenpriester, der dort mit seinen "sieben" Töchtern gelebt haben soll. Eine von ihnen, Zippora, muß der noch junge Mose kennengelernt haben, als er die Schafe und Ziegen seines späteren Schwiegervaters weidete. Sie wurde seine Frau, mit ihr kehrte er nach Ägypten zurück. Katharina ist der zweite Name einer 294 in Alexandria geborenen Adligen namens Dorothea, den sie erst nach ihrer Bekehrung zum Christentum angenommen hat. Während der Christenverfolgung im 4. Jahrhundert bekehrte sie einige Hofphilosophen und sogar Angehörige des Herrscherhauses und wurde dafür erst auf's Rad gebunden und dann enthauptet. 300 Jahre – so will es die Legende – blieb ihr Leichnam verschwunden, dann fanden ihn Mönche. Ihre von Engeln auf den Katharinenberg getragenen Gebeine sollen so hell geleuchtet haben, daß sie von weitem zu erkennen waren. Heute steht auch dort eine zum Kloster gehörende Kapelle.

Das erste Geräusch morgens ist das Flackern der Gasflamme unter dem Teekessel, dann tönt das stimmgewaltige 'Kikeriki' eines Dorfgockels heran. Plötzlich tritt mir jemand auf die Füße. Schlaftrunken registriere ich hinter kurzbehosten rotverbrannten Schenkeln eine dichtgestaffelte Menschenmenge. Ein kurzer Blick über die Mauerbrüstung: Eine Hundertschaft von Taschenlampen und Fackeln hat sich zu einer langen Schlange formiert, die als Lichtergirlande exakt den Serpentinenweg nachzeichnet.

Es ist vier Uhr früh, in einer Stunde wird die von jedem Reiseführer beschworene Sonne aufgehen. Bald surren die ersten Videokameras, Autofocus-Kameras blitzen sinnlos-automatisch. Nun beginnt ein Italiener auf der Flöte zu spielen. Wie selbstverständlich schließlich beginnt ein deutscher Kirchenchor christliche Choräle aneinanderzureihen. Daß das sich tolerant nennende Christentum lediglich eine von mehreren Religionen ist, denen dieser Ort heilig ist, interessiert offenbar nicht.

Nach einer guten Stunde ist der "Spuk" vorbei, die Sonne hat sich erfolgreich über Saudi-Arabien erhoben. Eine kurze Bemerkung über den weitaus eindrucksvolleren Sonnenaufgang des vergangenen Urlaubs zurücklassend, wendet sich ein welterfahrenes Ehepaar ab und wieder dem Reisebus zu. Eine weitere Stunde dösen wir noch, dann sind die Schläfer wieder unter sich.

Erst der Bau der Sinaiküstenstraße durch die israelische Besatzungsmacht nach 1967, mit dem Abstecher von Westen her zum Katharinenkloster, hat aus der unzugänglichen, lediglich strategisch wichtigen Halbinsel ein Tourismusboomland gemacht. Seit dieser Schleusenöffnung schwappt die Flutwelle des Tourismus jährlich wuchtiger an die Klostermauern und den Mosesberg hinauf. Erst vor etwa fünf Jahren bauten die Ägypter das westliche Verbindungsstück zur Küstenstraße bei Nuweiba. Die Karawane klimatisierter Reisebusse braucht so von Eilat aus nur hoch drei Stunden. Eine Tagestour läßt sich selbst von Kairo und Jerusalem in auch noch so knappe Urlaubszeitbudgets zwängen. Aus einer mehrtägigen 'Expedition', welche die Abenteuerlust eines Globetrotters verlangte, wurde ein "Muß" für Onkel Herberts Diaabend in Herne 2.

Den Abstieg mittags laufen wir jetzt über Elias-Plateau und Pilgertreppe. Das Plateau liegt in einem Felsenkessel mit einer Quelle, die genug Wasser spendet, um eine uralte Riesenzypresse wachsen zu lassen. Hier stehen neben einer verlassenen, größeren Einsiedelei auch zwei Kapellen und eine weitere Rasthütte. Die beiden Beduinen haben aufgesammelte Versteinerungen zum Verkauf ausgebreitet, ein Dromedar steht kauend den Kopf über ein Mauergeviert.

Aus einer höhergelegenen Höhle treibt der Wind Gesangsfetzen herüber. Seit dem 2. Jahrhundert sollen in weiteren Höhlen viele Eremiten gehaust haben, bis ihnen die Kaiserinmutter Helena um 324 "eine Kirche und einen Wehrturm" stiftete – der Grundstein zum heutigen Katharinenkloster. Der Kessel wird auch "Amphitheater der 70 Alten" genannt, weil sich hier Moses und Aaron mit den 70 Weisen des Volkes versammelt haben sollen. Der heutige Name erinnert daran, daß hier 600 Jahre später auch Elias mit Gott sprach.

Hinter einem versteckten Mauerbogen, die "Obere Beichtpforte", beginnt die Schlucht. Im 6. Jahrhundert saß hier der heilige Stephanos. Erst nach Beichte und Absolution soll er den Weg freigegeben haben. Kurz darauf, an einer weiteren Kapelle, folgt die untere Beichtpforte, das "Tor des Glaubens". Hier selektierten Mönche die Pilger, gaben den Weg "nur für Gerechte und Gute" frei und sperrten ihn für Sünder und Andersgläubige. Einige hundert Stufen tiefer öffnet sich die Schlucht zu einem grandiosen Blick tief hinunter auf das Kloster.

Das Goldene Kalb, um welches Mose von hier aus sein Volk hat tanzen sehen, ist vor meinen Augen rot lackiert und bunt gestreift. Es trägt den Namen irgendeiner Sun-, Fun- und Strandtourgesellschaft.

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