Religion: Christliche Klöster
    Inhalt:
    Vom Felsspalt zur Klostermauer – Klöster in Ägypten
    Wadi Natrun – Ausflug ins Paradies
    Das griechische Kloster der heiligen Katherina im Sinai
    Die Ikonensammlung im Katharinenkloster
    Der brennende Busch im Katharinenkloster beim Mosesberg
    Das Mysterium des brennenden Busches
    Koptische Klöster am Roten Meer

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Vom Felsspalt zur Klostermauer – Klöster in Ägypten
von Ann von Plüskow

Papyrus-Logo Nr. 12/89, pp. 4—7

Wenn wir auch nicht mit Bestimmtheit sagen können, ob der erste Christ in der Nachfolge Jesu, der vierzig Tage in der Wüste verbrachte, in Ägypten in die Einöde zog, so prägt doch das ägyptische Asketentum das mönchische Leben der ganzen christlichen Welt.

Bereits im 4. Jahrhundert verspürte der Asket, der sein frommes Leben noch am Rande der Siedlungen führte, den Wunsch nach größerer Abgeschiedenheit. Nach Beendigung der Christenverfolgungen unter Kaiser Konstantin strömte eine Flut von frommen Männern und Frauen nicht nur aus ägyptischen Städten und Dörfern, sondern auch aus anderen Ländern in die unbewohnten, kargen Berg- und Felslandschaften, wo sie in natürlichen Höhlen, ehemaligen Steinbrüchen, verlassenen Gräbern oder selbsterrichteten Behausungen, die ihnen den notwendigen Schutz vor der Witterung und vor wilden Tieren boten, ihr weltabgewandtes Dasein führten. Stützte sich die Kirche in den ersten drei Jahrhunderten n.Chr. auf Theologie und Märtyrertum, so wurde nun die zweite Taufe, die "Bluttaufe" (Tod des Märtyrers) durch die "Taufe des Eremiten" ersetzt, die mit der Zurückgezogenheit in die Einsamkeit verbunden war. Die ägyptische Wüste wurde zum "gesegneten Land", wo Askese gelebt und gelehrt wurde, und von wo sich schließlich das Mönchstum nach Palästina und in die übrige Welt ausbreitete. Bis heute sind viele der damals berühmten Mönchsväter nicht vergessen: der heilige Antonius und Makarius, im Osten der heilige Julian von Saba und Basilius, der heilige Hieronymus, Übersetzer der Bibel (Vulgata) in der Nähe von Bethlehem, um nur einige von ihnen zu nennen. Als (weibliche) Eremitin ist dabei Maria von Ägypten zu erwähnen. Das Ideal des Einsiedlers war, durch größtmögliche körperliche Genügsamkeit die innere Reinheit zu erlangen, die ihn Gott näher brachte, wobei er zugleich im Kampf gegen alles Böse nicht nur sein eigenes Seelenheil in Betracht zog. Er wollte durch ein wahrhaft frommes Leben, das er ja ohne göttlichen Beistand nicht bestehen konnte, allen Menschen die Existenz Gottes aufzeigen.

Allerdings trieb nicht jeden das lautere Motiv in die Wüste. Wir lesen u.a. von Gesetzesflüchtigen. Manchen trieb der ungeliebte Wehrdienst hinaus, Ärger mit der Familie oder die Flucht vor dem Steuereinnehmer. Und wie selbst eine auf höchste Ideale gründende Bewegung in ihr Gegenteil verkehrt werden kann, zeigt die Zeit, als Theodosius (ab 379 Kaiser von Ostrom) das Christentum zur offiziellen und einzig anerkannten Religion des Kaiserreiches erklärte. Die Mönche, die bis dahin der Macht des Teufels in der Ödnis begegneten, zogen in Scharen nach Alexandrien, um das Heidentum – nicht selten unter Anführung selbst der Bischöfe – mit Gewalt zu bekämpfen. Tempel wurden zerstört (darunter das Serapeion, das unter Athanasius bereits geschlossen worden war), Menschen heidnischen Glaubens und ihre Priester ermordet. Im Jahr 415 n.Chr. wurde die kluge und allseits verehrte heidnische Philosophin Hypathia (sie hatte den Lehrstuhl für Mathematik in Alexandrien) von Mönchen und einem in Aufruhr versetzten christlichen Pöbel zu Tode gesteinigt. Doch waren das zeitlich begrenzte Auswüchse; die Eremiten jener Jahre waren einfache, des Lesens und Schreibens meist unkundige, fromme Menschen.

Es bildeten sich im Laufe der Zeit ganze Kolonien verstreut liegender Mönchsunterkünfte, sogenannte Kellien. Jeder lebte und sorgte für sich selbst. Einmal in der Woche allerdings versammelten sich die Einsiedler zum gemeinschaftlichen Gebet und zur Feier der Liturgie, zunächst in Kirchen umliegender Ortschaften, falls sie zu erreichen waren, später in eigens erbauten Gotteshäusern, die dann meist zur Keimzelle einer späteren Klostergründung wurden. Den Würdigsten unter ihnen wählten sie zum Abt.

In der Entwicklungsgeschichte des Mönchswesens bezeichnet man diesen freien und individuellen Lebensstil, dem der Mönch in seiner eigenen Hingabe an Gott folgt, das "Idio-Rhythmische System". Mahl- und Fastenzeiten wählte er unabhängig, wie auch anstehende Arbeiten. Daneben entstand um das dritte Jahrhundert ein sehr viel mehr auf feste Regeln beruhendes System im Zusammenleben der Mönche, das sogenannte Koinobitische des Heiligen Pachomius (rd. 290—346 n.Chr.). Der Aufnahme ging eine Probezeit voraus, und der Mönch war neben den Forderungen von Gehorsam, Keuschheit, Frömmigkeit und Armut ständigen Prüfungen unterworfen. Schlafens- und Essenszeiten wie auch die Arbeitseinteilung wurden für alle verbindlich festgelegt. Das Leben fand in Gemeinschaftsräumen statt, wo dem Mönch zuerst noch eine eigene Zelle, später nur noch ein eigener Schlafplatz zustand. Von diesen koinobitischen Klöstern hat in Ägypten keines überlebt. Die heutigen Klöster sind eine Mischung aus beiden Systemen und entstammen dem 5.—8. Jahrhundert, als es notwendig wurde, die Eremitenkolonien stärker gegen räuberische Überfälle zu sichern. Innerhalb hoher, teils festungsartiger Mauern rückten die Mönche zusammen, und die bis dahin in Freiheit lebenden Einsiedler mußten viel von ihrer einstigen Unabhängigkeit opfern. Dennoch ähneln die so entstandenen Klosteranlagen mit ihren Kirchen, dem zumindest in der Wüste unerläßlichen Flucht- und Verteidigungsturm, dem Brunnen, dem Gemeinschaftssaal, Wirtschaftsgebäude, der Bibliothek und den sich darum in lockerem Verband gliedernden Behausungen der Mönche (aus zwei Räumen bestehend, einem zum Beten, dem anderen zum Aufenthalt) mehr kleinen Städten. Da sind die Regeln des Pachomius eher in der strengen Gliederung unserer Kreuzgänge und der genauen Aufreihung der Klosterzellen versinnbildlicht.

An das ursprüngliche Eremitendasein erinnert immerhin, daß auch noch heute einzelne Mönche außerhalb der Mauern in größtmöglicher Abgeschiedenheit mit nur zeitweiliger Bindung an das Kloster ihr frommes Leben führen.

Durch die in Griechisch verfaßten Schriften des heilige Athanasius über "Das Leben des Heiligen Antonius", den er selbst kannte und verehrte, wurden die mönchischen Ideale der damaligen christlichen Welt bekannt und Vorbild der westlichen Klostergründungen. Die von Pachomius aufgestellten Regeln haben z.B. Benedikt von Nursia (480—542 n.Chr.) bei der Gründung des Benediktinerordens nachhaltig beeinflußt. Die damals brennende Streitfrage um die Natur Christi, die die Apostolischen Stühle von Rom, Byzanz, Antiochien und Alexandrien wechselweise verband oder trennte, war auch eine Frage der Vorherrschaft der verschiedenen Patriarche und führte den heiligen Schenute, Namensvorgänger des heutigen koptischen Papstes, Schenuda III., zu den national bestimmten Klostergründungen bei Sohag, die nur Ägypter aufnahmen. Dennoch bezog sich Anba Schenute in seinen Schriften und Predigten, zu denen gelegentlich auch Laien zugelassen waren, nicht auf die herrschenden theologischen Auseinandersetzungen, sondern auf Fragen der Moral und Geistlichkeit des Glaubens gegen das Heidentum.

Nachdem auf dem Konzil von Chalzedon 451 der amtierende alexandrinische Patriarch Diokuros abgesetzt und damit gegen die in Ägypten vorherrschende Auffassung entschieden worden war, gab es zwei sich gegenseitig bekämpfende Patriarchate in Alexandrien, von denen je nach politischer Lage das eine oder das andere den Vorrang hatte. Im 6. Jahrhundert bezog das Kaiserhaus in Konstantinopel endgültig Stellung gegen die ägyptische Lehrmeinung. Die einheimische Kirche wurde unterdrückt. Als 640 n.Chr. Amr Ibn al-'As, der arabische Heerführer und Eroberer Ägyptens (Gründer von Fustat), das römisch-byzantinische Heer besiegte, feierten die Kopten (ägyptische Christen) daher diesen Sieg als Befreiung von der byzantinischen Vorherrschaft.

Unter der arabischen Herrschaft begann eine neue Blütezeit der Klöster, die allerdings nur so lange anhielt, wie der Mönch von der Kopfsteuer, die von den Moslems Andersgläubigen auferlegt wurde, befreit war.

Jedoch blieben sie in der anschließenden wechselhaften – besonders in der Mameluken-Zeit von Unterdrückung gekennzeichneten – Geschichte Verteidiger und Bewahrer des Christentums, des nationalen (koptische Klöster) und des griechisch-orthodoxen (Katharinenkloster), wenn sich ihre Zahl auch zeitweise stark verringerte, oder der Klosterbetrieb nur mit einer "Notbesetzung" aufrecht zu erhalten war. Mit den Osmanen traten friedlichere Zeiten ein, dennoch nahm die christliche Gemeinde bis ins 18. Jahrhundert weiterhin erheblich an Umfang ab. Tatsächlich aber haben frühe Gründungen wie St. Katharin im Sinai, die Klöster des Wadi al-Natrun und mit achtzigjähriger Unterbrechung St. Antonius und St. Paulus in der Ostwüste über alle Geschicke hinweg bis heute bestehen können. Mit ihnen zählen wir gegenwärtig wieder 15 Männer- und 5 Frauenklöster (Konvente). Da es im koptischen Christentum keine einheitliche theologische Ausbildung gibt, stellen die Klöster Priester, Bischöfe und damit auch das Oberhaupt ihrer Kirche. Papst Schenuda verbrachte sogar einen großen Teil seiner zehn Jahre als Mönch in den Höhlen von Wadi al-Natrun.

Aus dem Wadi el-Rayyan (südlich des Fayoum) kam Abuna Matta el-Maskin mit elf Brüdern, um das Makariuskloster wieder aufzubauen. Halb verfallen beherbergte es nur noch fünf Mönche. Heute leben etwa hundert Brüder innerhalb der neuerrichteten 12 km langen Mauer des Klosterbezirks. Wie Abuna Mina vor ihm in den vierziger Jahren belebte Abuna Matta, geistiger Vater des Makariusklosters, das Ideal mönchischer Zurückgezogenheit, so daß ihm viele, besonders der gebildeten jungen Männer in den Mönchsstand folgen. Es mangelt also nicht mehr an Nachwuchs, der sich, besonders mit akademischer Ausbildung, zum Ziel gesetzt hat, dem Mönchswesen in Ägypten wieder eine Bedeutung zu geben, allerdings unter Berücksichtigung moderner Aspekte, wie die hervorragend geführten landwirtschaftlichen Anlagen des Makariusklosters zeigen. Auch die Eremiten leben heute teilweise schon in kleinen, wenn auch bescheidenen Steinbauten. Keiner zwängt sich mehr durch eine dreimeterlange Felsspalte, um in eine tief im Fels liegende Ausbuchtung zu gelangen, wie es St. Antonius in frommer Einfalt noch tat.

Aber auf ihn geht die heute wieder übliche Mönchstracht zurück. Ein dunkles, kuttenähnliches Gewand mit einer sich fest um den Kopf schließenden Kappe, der Kopfbedeckung eines Kleinkindes nachgebildet. Rechts und links der Schläfe weist sie als Symbol der zwölf Apostel je sechs gestickte Sterne auf und in Erinnerung an Christus einen am Hinterkopf. Die kunstvolle Naht, die die Mütze aus zwei Hälften zusammenfaßt, geht auf die Versuchung des Heiligen zurück, als ihm der Teufel in der Gestalt eines schönen Weibes erschien. Im Kampf mit dem Versucher erhielt er einen Schlag auf den Kopf, der die Haube mit schrecklicher Gewalt in der Mitte auseinanderriß.

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Wadi Natrun – Ausflug ins Paradies
von A.Loher

Papyrus-Logo Nr. 12/89, pp. 10—11

Nicht genug, daß Sonntag ein Freitag ist, und somit sich die Familie am Anfang eines geteilten Wochenendes zusammenfindet, geht es auch noch immer um die oft schwer zu beantwortende Frage "was machen wir heute?" Einerseits ist der Drang nach Freiraum, Sonne, Luft und viel Bewegung sehr verständlich, andererseits hat so ein Tagesausflug seine Haken, denn die Idee, die Enge der Stadt mit Natur zu vertauschen, haben freitags viele.

Wir ließen uns vom Märzwind treiben und landeten im Wadi Natrun, ein seit dem 4. Jahrhundert bevorzugter Platz frühchristlicher Einsiedler. Blickt man vom Wüstenplateau hinunter in diese trockene Senke, fällt es leicht, sich ein Leben in absoluter Stille und Entsagung vorzustellen. Schaut man in die Geschichtsbücher oder Reiseführer, ist kaum zu glauben, daß sich hier bis zum 10. Jahrhundert n.Chr. ein Perlenband prosperierender Klöster wand, Keimzellen vieler Prediger, Märtyrer und Heiliger. Ursprung des Mönchtums, Ausgangspunkt der Christianisierung anderer Länder und Erdteile. Bis heute haben vier Klöster den ständigen Wechsel von Aufstieg und Verfall diverser Reiche, den Ansturm vieler Überfälle, Brandschatzungen, dem nagenden Wüstenwind und dem Zahn der Zeit standgehalten.

Aus der Ferne betrachtet nimmt sich das Kloster Makarios wie eine grüne Insel inmitten eines Sandmeeres aus. Näher kommend bilden hohe, starke Mauern einen schützenden Wall und lassen es wie eine große Trutzburg erscheinen. Doch das abweisende Gesicht täuscht. Ein riesiges Tor steht fast immer einladend offen, jedem Ankömmling einen Blick ins Paradies zu ermöglichen. Mit nur einem Namenszug ins ausgelegte Gästebuch an der Pforte und einem herzlichen "Willkommen" des Paters ist der Weg freigegeben. Ein Garten Eden tut sich vor uns auf: Olivenhaine, Zitrusplantagen, Dattelpalmen und das satte Grün intensiven Ackerbaus liegen in ihrer ruhigen Schönheit ausgebreitet vor uns. Ein Genuß für Auge und Gemüt auf dem Weg zum eigentlichen Kloster, das sich noch einmal hinter jahrhundertealten, dicken Mauern versteckt.

Dieses Tor, das aussieht als es aus der Zeit der Kreuzzüge, ist allerdings geschlossen. Während wir uns noch fragend mit dem abweisenden "Visier" beschäftigen, lüftet ein zufällig vorbeikommender Pater das Geheimnis. Dreimal Klopfen mit dem schweren Türklopfer, und auch hier wird Einlaß gewährt. Befangen treten wir näher und blicken uns um. Es gibt noch andere Besucher vor uns, die Mitgebrachtes überreichen. Wir stehen da mit leeren Händen. Unter einem kahlen, langgestreckten Weintunnel unterhalten sich Mönche und tummeln ein paar lärmende Kinder. Wir entdecken noch ein aufgeschlagenes Gästebuch und finden seitenweise Namen aus Deutschland. Während wir noch neugierig die Blätter wenden, gesellt sich ein Pater zu uns und bestätigt stolz in einwandfreiem Deutsch, daß mehr als die Hälfte der Besucher aus Deutschland kommt und einen festgeplanten Wallfahrtsabstecher zur Stätte von Leben und Wirken des heiligen Markus macht. Ein Pater heißt uns sehr freundlich willkommen und besteht darauf, der Sitte gemäß, Klosterspeisung anzunehmen. Es gibt Gemüsesuppe, eingelegte Rettiche und herrlich schmeckende Brötchen. Erst gut gelabt dürfen wir den Rundgang antreten.

Blickt man von der breiten Eingangstreppe durch einen weiten alten Ziegeltorbogen, sieht man eine Anzahl Kuppeldächer, Rundbögen, steile Treppen und verwinkelte Gänge. Wir schauen auf die drei Kirchen Abu Maquar, der 49 Märtyrer und des St. Makarius. Wie in einem nubischen Dorf lehnen sich die einzelnen Kirchen aus verschiedenen Jahrhunderten gegeneinander. Die betagte Würde der alten Gemäuer ist beeindruckend. Seit dem Jahr 360 n.Chr. sind hier die liebevollen Hände der Wüstenmönche am Werk, Gotteshäuser aufzubauen, umzubauen, anzugliedern, freizulegen oder zu renovieren im ewigen Kampf gegen die Unbilden der Jahrhunderte. Viele Fresken widerstanden erstaunlicherweise Sonne, Regen, Wind und Sand, so zum Beispiel die Cherubine als schützende Kräfte im Leben des heiligen Makarius, bereits im 7. Jahrhundert von einem Mönch an die Wand gemalt. Barfüßig und andächtig betrachten wir die Gewölbe, Wände und freigelegten Friese in den einzelnen Kirchen und hören von den Wundern und Wirken der Heiligen auf authentischem Fundament.

Unser Rundgang durch die Geschichte dieser Anlage führt uns schließlich auch am Fluchtturm vorbei. Hoch oben am Holzsteg betrachten wir die verwitterte Glocke und schenken ihr Glauben, daß ihr Ruf durch die Jahrhunderte nicht immer nur zum Gebet und göttlicher Einkehr mahnte, sondern gar manches Mal feindlichen Anstürmen von außen galt. Das Mißgeschick der Verwechslung vom Reichtum der Seele mit dem der irdischen Güter hat die Klostermauern stark und hoch gemacht und die Geschichtsbücher gefüllt.

Der Fluchtweg über den Holzsteg führt zu den ehemaligen Mönchszellen. Karge, schmale, oft fensterlose Räume verschachteln sich zu einem Labyrinth, ausgetretene Steintreppen, dunkle Gewölbe und Gänge führen wiederum hinab zu den Kirchen. Diese absolute Kargheit der Mönchszellen, die bis vor kurzem noch als Unterkunft dienten, hat unsere luxusverwöhnte Seele arg bestürzt. Hier wird mit einem Blick offenbart: ein Leben in Beten, Fasten und Arbeiten, in bitterer Kälte und sengender Sonne und doch in vollkommener Harmonie mit dieser Welt.

Schmunzelnd stehen wir im Buchladen des Klosters. Neben schönen Ansichtskarten hat die hauseigene Druckerei Broschüren verlegt, die nebst allen einschlägigen religiösen Themen auch das zum "Standpunkt der Geburtenkontrolle" von Pater M. El Meskeen behandelt. Was so fortschrittlich im literarischen Sektor des Klosters Makarios beginnt, setzt sich fort im technischen Know-how und Management einer sehr modernen Landwirtschaft und Versuchsstation.

Die schwere, mit handgeschmiedeten Eisenbeschlägen versehene Pforte hat sich hinter uns geschlossen. Wir verlassen eine Burg und ihre Geschichte, die mit der Reise des heiligen Makarios nach Ägypten beginnt, und deren Fundament die Felsenhöhlen und der starke Glaube heiliger asketischer Männer ist. Wir kamen mit leeren Händen und gehen mit Zuckerzeug und Nüssen in den Taschen als Abschiedsgeschenk der Mönche. Wir fahren wieder heim durch die Wüste und denken, ein kleines bißchen im Paradies gewesen zu sein.

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Das griechische Kloster der heiligen Katherina im Sinai
von Eleni und Peter Grossmann

Papyrus-Logo Nr. 2/87, pp. 18—20

Bekanntlich ist der Sinai schon in vorchristlicher Zeit von Bedeutung gewesen. Als Moses 1300 v.Chr. Ägypten verließ, kam er in den Sinai. Er begegnete dort den Töchtern Jethro's, die ihre Herde zum Brunnen führten. Er heiratete eine von ihnen und blieb in derselben Gegend wohnen. Am Berg Horeb erhielt er durch das Wunder des brennenden Dornenbusches den Auftrag, sein Volk aus Ägypten zu holen. So kehrte er nach Ägypten zurück, befreite sein Volk und bei der Rückkehr zu dem Berg Horeb wurden ihm durch Gott die Schrifttafeln mit den 10 Geboten verliehen.

Es ist leicht einzusehen, daß dieser für die biblische Geschichte so wichtige Ort frühzeitig christliche Einsiedler anzog, um dort ein Gott geweihtes Leben zu führen. Nach der Legende soll schon 330 n.Chr. die heilige Helena, die Mutter Konstantins des Großen, nahe beim Dornenbusch eine der Mutter Gottes geweihte Kirche gestiftet haben. Sicher belegt ist der Besuch des Julianos von Sabas im Jahre 361, der auf dem Berge selbst eine kleine Kirche errichtete (Theodoret, hist.rel. 2,13). Die Maße dieser Kirche sind in dem Itinerarium des Anonymus von Placentia (um 560) überliefert. Ein anschauliches Bild von dem Leben der Einsiedler am Mosesberg gibt die aquitanische Pilgerin Etheria, die 383/84 anläßlich ihrer Jerusalemreise auch den Sinai besuchte. Das Leben am Mosesberg war nicht immer frei von Gefahren. Gelegentlich wurden die kleinen Einsiedeleien (Kellien) der Mönche zum Ziel herumstreifender Nomaden. Zwei Quellentexte, die zeitlich beide vor dem Besuch der Etheria anzusetzen sind, berichten von solchen Überfällen. Bei dem in den relationes des Amonius (zwischen 373 und 381) erwähnten Überfall hat es insgesamt 40 Tote gegeben, derer die Mönche des Katharinenklosters noch heute gedenken. Zu ihrem Schutz hatten sich damals die Mönche einen Turm gebaut, der von demselben Amonius erwähnt wird.

Im 6 Jahrhundert wurde im Dornenbuschtal durch den Kaiser Justinian und seine Gemahlin Theodora das noch heute bestehenden Kloster errichtet. Es gleicht einer starken Festung. Die Mönche verließen ihre Einsiedeleien und zogen in ein Gemeinschaftshaus, in dem jeder nur hoch ein kleines Zimmer besaß. An die Stelle des ersten kleinen Gotteshauses trat die noch heute bestehende dreischiffige Kirche, die zunächst ebenfalls der Mutter Gottes geweiht war. Procopius von Caesaraea (6. Jh.), der letzte bedeutende Historiker der Antike, und Eutychios von Alexandrien (10. Jh.) berichten davon. Der Name des Architekten Stephanus von Aila ist inschriftlich neben dem Namen des Kaiserpaares in einem der Deckenbalken der Kirche überliefert.

Die Kirche gehört zum Typus der Basilika mit einem Narthex (Vorraum), dreischiffigem Naos (mit erhöhtem Mittelschiff) und der Apsis, letztere flankiert von zwei kleinen Nebenkapellen (Pastophorien). Unüblich sind die langgestreckten Räume an den Längsseiten, die man später zu kleinen Nebenkirchen umfunktioniert hat. Etwas jüngeren Ursprungs ist ferner die hinter der Apsis befindliche Dornenbuschkapelle. In ihr wird an jedem Samstag die Liturgie gefeiert. Man betritt diesen Ort ohne Schuhe gemäß dem Herrenwort "...zieh deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst, ist ein heilig Land." (Mos. 2,3,5)

Nach Fertigstellung des Mosaiks in der Halbkuppel über der Apsis der Kirche, auf dem die Verklärung Christi dargestellt ist und das zu den schönsten Arbeiten seiner Zeit gehört, die wir besitzen, wurde die Kirche in die "Kirche der Verklärung" umbenannt. Heute heißt sie Katharinenkirche nach den in ihr aufbewahrten Reliquien der heiligen Katharina.

Nach der Legende entstammt die heilige Katharina einer heidnischen Patrizierfamilie aus Alexandrien und hatte sich schon frühzeitig wissenschaftlichen und philosophischen Studien gewidmet. Ihr ursprünglicher Name war Dorothea, was "Gottesgeschenk" bedeutet. Nach der Taufe erhielt sie den Namen Katharina und erlitt unter dem Kaiser Maxentius (3./4. Jh.) den Märtyrertod. Ihr Leichnam wurde von Engeln zum Sinai gebracht, doch haben die dort siedelnden Mönche zunächst nichts davon gewußt. Erst im 9. Jahrhundert wurde ihnen diese Geschichte in einem Traum offenbart. Sie fanden die Gebeine der Heiligen auf der Spitze des heutigen Gebel Katarin und transferierten sie in das Kloster.

Das Kloster gehört zu den wenigen Klöstern, die seit der Antike ununterbrochen besetzt waren. Es ist nie von feindlichen Mächten erobert und zerstört worden. Die Mönche sind Griechen und gehören zum großen Verband der Griechisch-Orthodoxen Kirche. Verwaltungsmäßig ist das Kloster jedoch autokephal, d.h. selbständig und keinem Patriarchen unterstellt. Angeschlossen an dieses Kloster ist ein kleines Nonnenkloster, das sich in der Oase Feiran befindet, an der Stelle der alten Bischofsstadt Pharan. Es wird ebenfalls von griechischen Nonnen bewohnt. Ferner untersteht dem Kloster eine kleine Gemeinde in al-Tur, dem alten Rhaitho.

Zu den Reichtümern des Klosters gehört die Ikonensammlung, deren wertvollste und schönste Stücke heute im Narthex der Kirche ausgestellt sind. Da das Kloster zur Zeit des Bildersturmes geographisch außerhalb des Byzantinischen Reiches lag, entging es der Verfolgung. Nur hier haben sich demzufolge Ikonen aus vor-ikonoklastischer Zeit erhalten. Zu nennen ist ferner die Bibliothek mit vielen alten Handschriften.

Aus dem Kloster sind einige bedeutende Theologen und Kirchenschriftsteller hervorgegangen: Neilos (um 400), Johannes Klimax (vor 579 bis nach 654), Hesychios (Schüler des J. Klimax), Anastasios (gest. bald nach 700), Gregorios Sinaites (1253—1346), um nur die wichtigsten zu nennen. Noch heute werden in dem Kloster theologische und wissenschaftliche Studien betrieben.

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Die Ikonensammlung im Katharinenkloster
von Ursula Schernig

Papyrus-Logo Nr. 2/87, pp. 23—25

Das Katharinenkloster auf dem Sinai steckt voller Kunstschätze: Weltbekannt sind die heute berühmte Bibliothek und die Ikonensammlung.

Die Ikonensammlung war früher nicht zugänglich. Berühmte Besucher der Ost-Kirche brachten einige Ikonen als "Geschenke" mit nach Hause. So kamen z.B. um 1850 die vier frühen Sinai-Ikonen nach Kiew.

Als 1930 der neue feuersichere Flügel für die Bibliothek gebaut wurde, errichteten die Mönche in einem kleinen Seitenraum ihre "Bilder-Galerie" für die kostbarsten Ikonen, die nach Größe gehängt wurden.
Die alte, feuergefährdete Bibliothek wurde jetzt ebenfalls für etwa 600 Ikonen genutzt, teils tadellos erhaltene, teils Fragmente. Sie wurden an den alten hölzernen Bücherregalen aufgehängt.
Etwa 700 weitere Ikonen hingen in den Seitenkapellen der Kloster-Kirche.

1956 erschien in Athen das Buch der Brüder G. und M. Sotirion über 150 Sinai-Ikonen in griechischer Sprache.

Als Prof. Kurt Weitzmann von der Princeton-Universität in USA das Kloster 1958 besuchte und die etwa 2.000 byzantinischen Ikonen dort besichtigen durfte, entstand das Projekt, in dem zwischen 1958 und 1965 in vier Expeditionen, von den Universitäten in Alexandria/Ägypten und Michigan und Princeton/USA durchgeführt, alle wichtigen Ikonen photographiert und dokumentiert wurden. Das Buch über die frühen Ikonen erschien 1976, in zweiter Auflage 1981.

Durch das trockene Klima waren viele der Ikonen in tadellosem Zustand. Andere waren im Lauf der Zeit kaputtgegangen, viele übermalt worden ohne Rücksicht auf die alten Malschichten.
In Zusammenarbeit mit dem Byzantinischen Museum in Athen wurden im Lauf der Jahre viele wichtige Ikonen restauriert.

Die Mönche, die immer mehr den Wert ihrer Bildersammlung erkannten, wurden unruhig: alle sehr kleinen oder sehr wertvollen Ikonen wurden an besonderen Plätzen aufgehoben. Alle wichtigen Bilder aus den umliegenden Kapellen wurden in die alte Bibliothek ins Kloster gebracht. Dort wurden neue Stahlgestelle und etwa ein Dutzend neue große Glasvitrinen aufgestellt.

Die Dokumentation ergab, daß diese Sammlung der frühen byzantinischen Ikonen – vor dem Bilderverbot (6.—10. Jh.) entstanden – einmalig auf der ganzen Welt ist.

Sie sind meist in Enkaustik-Technik auf "Zedernholz" gemalt. Übermalungen wurden sehr oft von Mönchen des Klosters vorgenommen, die in 1.000jähriger Tradition das Ikonenmalen ausübten.

Oft benötigt man die Hilfe der ikonographischen Beschreibung, eine dogmatische Interpretation oder es sind liturgische Aspekte wichtig, um eine Ikone wirklich zu verstehen. Daneben spielt natürlich immer auch die künstlerische Qualität eine Rolle.

Die ersten Ikonen, Bilder christlicher Malerei, tauchen im 4. Jahrhundert auf; im 5. Jahrhundert werden es immer mehr; im 6. Jahrhundert herrscht eine Bilderflut.

Die arabische Eroberung störte nur den Einfluß Konstantinopels. Politisch gehörte der Sinai danach immer mehr oder weniger zu Ägypten. Als die Zeit der Kaiserlichen Dekrete (726—843) kam, die befahlen, alle existierenden Ikonen zu zerstören, keine Ikonen mehr anzufertigen, wurden in den östlichen, unter arabischem Einfluß stehenden Provinzen weiter Ikonen gemalt (Weitzmann, S. 5). Der Stil jedoch veränderte sich allmählich. Der hellenistische Naturalismus verschwand langsam; es finden sich mehr abstrahierende lineare und dekorative Formen.

Nach dem Bilderverbot im 9. und 10. Jahrhundert setzte sich der Stil der sogenannten "Makedonischen Renaissance" durch. In Verbindung mit der Miniaturmalerei kann man Ikonen jetzt sogar datieren. Jetzt werden die Proportionen des menschlichen Körpers sehr wichtig genommen. Es gibt genaue Regeln für das Setzen von Glanzlichtern. Die Farben werden immer brillanter unter dem Einfluß des Grubenschmelz-Emails.

Durch die Pilger, die die heiligen Orte des Sinai (Mosesberg / Platz des brennenden Dornenbusches) meist zusammen mit den heiligen Plätzen in und um Jerusalem besuchten, gab es schon vor der Klostergründung enge kulturelle Verbindungen zu Palästina.

So orientieren sich viele frühe Ikonen mehr nach dort als nach Ägypten. (Koptische Ikonen haben andere menschliche Proportionen, größere Vereinfachung, große starrende Augen.)

Was die Technik der Ikonenmalerei betrifft, kann man sagen, daß am Anfang das Malen mit erhitzten Wachsfarben, die Enkaustik, überwiegt. Diese Technik wurde damals jedoch nicht nur in Ägypten (Fayoum-Portraits!) sondern in der ganzen hellenistischen Welt zum Malen auf Holz, Leinen und Marmor verwendet. Daneben gab es mit Tempera gemalte Ikonen. Die nehmen im Lauf der Jahre zu. Vom 8. Jahrhundert ab ist dies die bevorzugt angewandte Technik.

Ikonen gab es wahrscheinlich anfangs nur in Privatbesitz. Sie waren "beweglich", wurden geschützt und auf Reisen mitgenommen.

Die Ikonen der Kirchen standen in einem Nebenraum und wurden nur am Tag des Heiligen auf dem Proskynetarion ausgestellt. Später hingen sie, nach dem Kalenderjahr nebeneinander aufgereiht, in einem Seitenraum der Kirche.

Viele Ikonen im Sinaikloster erwiesen sich zur Überraschung der Fachleute als Teile eines Triptychons: Die Seitenflügel wurden geöffnet wie die "Türen des Herrn". Geschlossen trugen sie außen jede ein simples Kreuz auf der unbemalten Seite – oder ein halbes Kreuz, das durch den anderen Seitenflügel ergänzt wurde. Geöffnet erschien mit dramatischem Effekt die farbige Welt der Heiligen.

So hat die Dokumentierung und Erforschung der alten Ikonen des Sinaiklosters die Kenntnisse über die Byzantinische Kunst sehr bereichert.

Ikone

 

Literatur:
    • "The Monastery of Saint Catharine at Mount Sinai" by Kurt Weitzmann

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Der brennende Busch im Katharinenkloster beim Mosesberg
von Annie Gismann

Papyrus-Logo Nr. 2/87, pp. 21—22

Seit sechzehn Jahrhunderten gilt der heutige "Gebel Musa", der Berg Moses auf dem Dache Sinais, als der Berg Gottes, der Berg der Gesetzgebung. An seinem Fuße steht seit dem 6. Jahrhundert das befestigte Katharinenkloster.
Der Mosesberg und seine Umgebung sind nicht nur dem Christen heilig, sondern auch dem Muslim, der in "Sayédna Musa" (unserm Herrn Moses) einen seiner großen Propheten verehrt. Anläßlich Moses' Auftrag, die Kinder Israels aus Ägypten zu führen, sagt die Bibel, "Tritt nicht hinzu, zieh deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort darauf du stehst ist ein heilig Land" (2 Mose 3, 5). Auf dem Gipfel des Berges steht neben einer Kapelle eine kleine Moschee. Auf demselben Berg soll schon vor den monotheistischen Religionen der Kult einer Mondgöttin gepflegt worden sein – also ein schon lange geheiligter Boden. (Siehe hierzu auch: "Mosesberg – Gedanken eines modernen Pilgers" –Anm. KFN.)

Wie gut erinnere ich mich an meine erste Besteigung des Mosesberges vor ca. 50 Jahren. Es war am Tag des "'id el kebir", dem größten islamischen Fest, dem Gedenken Abrahams (Sayédna Ibrahim) gewidmet, dem Gott in letzter Minute ersparte, seinen Sohn zu opfern. Auf den Granitstufen und Felsplatten bemerkte ich, etwas beklommen, in gewissen Abständen reichliche, frische, scharlachrote Blutspritzer. Der einheimische Klosterdiener, unser Betreuer und Führer, ging neben mir her. Dabei häkelte er, einhändig und blindlings, mit einem kurzen Haken ein Käppchen aus hausgesponnenem Kamelhaargarn, das mit seiner Spitze an seinem Gürtel befestigt war: ein kompliziertes Muster. Er wurde meines Unbehagens gewahr und beruhigte mich, indem er mir erklärte, die Mitglieder seines Stammes, die Gebeliya, hätten frühmorgens den alljährlichen Hammel am Gipfel oben geschlachtet, und die Blutspuren wären nur vom Hammel herausgetropft. Die einstmals christlichen Gebeliya, die alle dem Kloster dienen, sind die Nachkommen der mazedonischen Besatzung, die Justinian zum Schutze des Klosters dorthin deportieren ließ. Abraham ist zwar nicht Moses, aber immerhin einer seiner Vorfahren, und Moses Gott ist "der Gott seiner Väter, der Gott Abrahams".

In der Umgebung des Klosters weist man in Bezug auf Moses auf verschiedene Orte: z.B. auf die Er-Râha-Ebene vor dem Eingang ins Klostertal, wo die Kinder Israels warteten, während Moses auf dem Berg weilte; an der Abzweigung ins Tal steht die Gedenkkapelle für Moses Bruder Aaron (arab. Harûn). Die Beduinen zeigen nicht unweit des Klosters den Fels, aus dem Moses Wasser schlug.

Innerhalb der Klostermauern sind zwei Stellen, die sich auf Moses beziehen: der Brunnen, an dem Moses die Schafe seines Schwiegervaters Jethro tränkte, und einige Schritte davon entfernt, genau hinter der vorspringenden Apsis der Kapelle des brennenden Busches, in einer kleinen Einzäunung, ein Exemplar des Busches, aus dem Moses die Stimme Jahwes hörte, "der mit Feuer brannte und doch nicht verzehrt ward" (2 Mose 3, 2). Hier kultivieren die Mönche zur Erinnerung an Moses Berufung den syrischen Blasenstrauch Coleuta istria. Diese einheimische Pflanze ist ein Nutzstrauch der Beduinen, die aus seinen festen Fasern Stricke und Seile drehen.

Als ich in den frühen dreißiger Jahren zum ersten Mal das Kloster besuchte, erstrahlte dieser Strauch gerade in einer Fülle von weiß-silbrigen Samenschoten, die in der leichten Brise im kalten Glanze flimmerten – ein traumhaft schöner Anblick. Die Schoten erinnern etwas an den europäischen Judensilberling (Lunaria), dessen Schotenseitenwände zu Trockenbouquets verwendet werden. Die Mönche, damals noch erfreut über seltenen Besuch, erklärten den Blasenstrauch für denjenigen, auf den die biblische Beschreibung am besten paßte. Gerster (Anm.), im Laufe seiner verschiedenen Klosterbesuche, photographierte den Blasenstrauch noch 25 Jahre später, einmal zur Zeit der aufsehenerregenden Fruchtblasen und einmal so unscheinbar, wie er zu anderen Jahreszeiten aussieht.

Als ich aber nach der israelischen Besetzung wieder ins Kloster kam, fand ich das Gehege von typisch brombeerartigen Ranken wild überwuchert. Nur mit Mühe konnte ich zwischen den dornigen Kaskaden einzelne nicht bedornte, aufrechte, dünne Äste entdecken, wohl die Reste des fast erstickten Blasenstrauchs. Mit Erstaunen hörte ich die Ausführungen der Reiseführer über das Dickicht und seine wohltuenden und glückbringenden Eigenschaften. Außerdem sei die Pflanze äußerst selten und gedeihe bloß auf gesegnetem Boden, z.B. hier im Kloster oder in dessen Dependance in Feiran. Sehr richtig! Das Gewächs gehört nämlich nicht zur Pflanzenwelt dieses Raumes und ist offenbar eine Neueinführung. Ob das nun eine Sorte "loganberries" aus Israel oder eine Mittelmeerform der Brombeere aus Griechenland sein mag, oder eine andere Verwandte, konnte ich nicht ermitteln, da die neue Generation von Mönchen aus dem europäischen Griechenland sich vom Touristen-Publikum fernhält und nicht ansprechbar ist.

Anmerkung 
    • Gersters Bildband "Sinai", Ullstein Verlag, 1961, ist eine schier unerschöpfliche Fundgrube denkwürdiger Einzelheiten jeder Art über den Sinai. Er ist dem interessierten Leser wärmstens anempfohlen (falls noch erhältlich).
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Das Mysterium des brennenden Busches
Anmerkungen zum Aufsatz von Annie Gisman in Papyrus 2/87
von Warda Bircher-Bleser

Papyrus-Logo Nr. 9/87, pp. 53—55

"Mose aber hütete die Schafe Jethros, seines Schwähers, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe hinter die Wüste und kam an den Berg Gottes Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Busch. Und er sah, daß der Busch mit Feuer brannte und ward doch nicht verzehret. Und sprach: 'Ich will dahin und beschauen das große Gesicht, warum der Busch nicht verbrennet'.
Da aber der Herr sah, daß er hinging zu sehen, rief ihn Gott aus dem Busch und sprach: 'Mose, Mose!' Er antwortete: 'Hier bin ich'. Er sprach: 'Tritt nicht heran, zeuch deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort darauf du stehest ist ein heilig Land'. Und sprach weiter: 'Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs'. Und Moses verhüllte sein Angesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: 'Ich habe gesehen das Elend meines Volkes in Ägypten...'."

Und es folgen die schicksalsschweren Worte, die Moses tief erschüttern und erschrecken:

"So gehe hin, ich will dich zum Pharao senden, daß du mein Volk, die Kinder Israel, aus Ägypten führest.... Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, daß ich dir gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführet hast, dann werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge". (2.Moses 3)

Der mit offenem Sinn erlebte, so interessante Aufsatz von Annie Gisman macht uns mit den von der Sonne durchleuchteten silbrig schimmernden Schötchen des syrischen Blasenstrauches, Colutea istria, bekannt, der von Vivi Täckholm in ihrer Schulflora (Ausgabe 1974) als in der isthmischen Wüste und im Sinai als "sehr selten" erwähnt wird. Der Busch beim Katharinenkloster wurde wohl schon lange vor dem zweiten Weltkrieg von den Mönchen gepflanzt und ist jetzt von einer ebenfalls daselbst gepflanzten Brombeerart, Rubus sanctus, fast gänzlich überwuchert. "Andere Zeiten, andere Sitten!", möchte man sagen... Diese Rubusart ist laut Vivi Täckholm wahrscheinlich eine ursprünglich kultivierte, jetzt aber völlig eingebürgerte Art, die im Fayoum, am Mittelmeer und im Sinai wild wächst und von der Botanikerin als "selten" vorkommend bezeichnet wird. Und wie wir sehen werden, gibt es immerhin ein paar Argumente, die eventuell zu Gunsten ihrer Identifikation mit dem "Brennenden Busch" Moses sprechen könnten, insofern eine solche Identifikation überhaupt möglich ist.

Vorerst möchten wir aber noch ein Anzahl anderer buschartiger Pflanzen aufzählen, die mit ihren Blüten, Blättchen oder Früchten von den Botanikern als mögliche Prototypen des Brennenden Busches aufgeführt worden sind.

Dabei beziehen wir uns hauptsächlich auf das prachtvoll illustrierte Buch von Nogah Hareuveni: "Tree and Shrub in our Biblical Heritage" (Neo Kodumin, Kiryat Ono, Israel, 1984). Da finden wir zum Beispiel das weiße Blütenmeer des herrlich duftenden Retama reatam oder Wüstenginster, dessen Asche, auch wenn scheinbar erloschen, vom leisesten Wind zu neuer Glut entfacht wird. Dank dieser Eigenschaft wird die ganze Pflanze (insbesondere auch die Wurzeln) vielfach zur Herstellung von Holzkohle verwendet. Hauptsächlich im Negev wurde davon von den Beduinen so viel Raubbau getrieben, daß die Regierung die Verwendung des weißen Ginsters zu diesem Zwecke verbieten mußte. Auch Atriplex halimus wird genannt, mit seinen in der Sonne so wunderbar glitzernden, von kleinen Salzkristallen bedeckten Blättchen.

Andere Botaniker denken, daß es sich beim Brennenden Busch um eine der vielen aromatischen Stauden handelt, die in der Sonne große Mengen ätherischer Öle ausdunsten. Dabei wäre es nach ihrer Meinung möglich, daß diese Öle in der nächsten Umgebung der Pflanze Feuer fangen könnten, ohne daß jedoch die Staude davon berührt würde. Weitere Gelehrte erwähnen die halbparasitische Loranthus acacia, die auf Akazien lebt und deren feuerrote Blüten Moses als Flamme erschienen sein mögen. Wieder eine andere Version will, daß es sich beim brennenden Busch um eine jener phantastischen Spiegelungen handelte, bei denen ungleich dichte Luftschichten die Wellen des Lichtes reflektieren.

An Stelle von "Busch" steht nun aber im althebräischen Text das geheimnisvolle, mehrmals wiederkehrende Wort "sneh". Welche Bewandtnis mag es damit haben? Das Wort hat Ähnlichkeit mit dem Ausdruck "seneh", welcher als "scharf gezähnte Felsen" übersetzt worden ist. Andererseits ist der Name "Sinai" mit dem Hebräischen "schen" (Mehrzahl "schinaim"), "Zahn", verwandt, was in Anbetracht der scharfen Kanten der Granitberge im südlichen Teil der Halbinsel plausibel erscheint. (Andere Sprachforscher leiten die Bezeichnung "Sinai" vom Namen des babylonischen Mondgottes "sin" ab). Es ist daher denkbar, daß das Wort "sneh" sich als Name einer Pflanze mit scharfen, abwärts gerichteten Dornen eignet, wie dies bei Rubus sanctus der Fall ist, indem sich die Dornen mit den spitzen, sich tief ins Fleisch eingrabenden Zähnen eines Raubtieres vergleichen lassen. (Anm.)

Auch mehrere Aussagen aus der Bibel und aus dem Talmud scheinen auf die "heilige" Brombeere als Ursprung des Brennenden Busches zu verweisen.

Eine dieser Aussagen beruht auf der Tatsache, daß der Busch ("sneh") nur an wasserreichen Stellen wächst, in der Nähe von Quellen oder an mehr oder weniger permanenten Wasserläufen. In einem Zitat aus Isaias, in welchem die Worte der Bibel mit dem Symbol des "segenbringenden Wassers" umschrieben werden, vergleicht dieser Prophet die Kinder Israels mit dem "sneh", welcher ebenfalls nur leben kann, wenn er genügend Wasser bekommt. Nogah Hareuveni zitiert auch drei Stellen aus dem Talmud, an welchen der "sneh" mehrmals erwähnt wird. Unter anderen zitiert er Joschua ben Korha, ein Weiser aus dem zweiten Jahrhundert n.Chr., der für seine Bibelauslegungen berühmt war. Auf die Frage eines Heiden, wieso denn Gott durch einen "sneh"-Busch zu Moses sprach, antwortete er:

"Auch wenn Gott aus einem Johannesbrotbaum oder aus einer Sykomore gesprochen hätte, würdest du mir dieselbe Frage gestellt haben... Also warum aus einem 'sneh'? Um dich zu belehren, daß es keinen einzigen Ort gibt, in welchem der heilige Geist nicht zugegen ist, sogar in einem 'sneh'."

Wir konnten nicht umhin, zu Beginn dieses Aufsatzes die feierliche Berufung Moses' am Berge Horeb mit einem langen Zitat in der herben Sprache des 16. Jahrhunderts heraufzubeschwören, in dem die Vision am Berge Horeb als der Auftakt zu einem der wichtigsten Wendepunkte unserer Geschichte betrachtet werden muß. Das erste Glied jener Kette von welterschütternden Ereignissen waren die dem Volke auf dem Sinai übergebenen Gesetzestafeln. Um ihrer würdig zu sein, mußten die Kinder Israels unzählige Leiden auf sich nehmen, mußte ein Schafhirt zum Führer von Tausenden von Menschen eingeweiht werden, mußte Moses die Stimme des Herrn aus dem Brennenden Busch vernehmen.

Der Mensch hat das Bedürfnis, alles am Maßstab seines Verstandes einzuschätzen. Der Brennende Busch aber bleibt, trotz aller Erklärungsversuche eines jener Mysterien, für das es keine endgültige Lösung gibt. Moses sah nicht allein die Flamme, sondern hörte auch die Stimme Jahwes. Seine Version spielt sich auf einer Ebene ab, zu deren Betreten unsere geistigen Kräfte nicht auszureichen scheinen. Auch die beste Erklärung bleibt, wie wir gesehen haben, in solchen Fällen hypothetisch oder wir fühlen uns gezwungen, uns wie Moses das Antlitz zu verhüllen.

Anmerkung 
    • Annie Gisman teilt mir mit, sie habe in der Zwischenzeit begriffen, daß der jetzt im Katharinenkloster angepflanzte Strauch nicht ohne triftigen Grund ausgetauscht worden sei. Nach Gesprächen mit Bekannten, die den Busch als "Brennenden Busch" erwähnt hatten, verglich sie verschiedene Bibelfassungen und stellte fest, daß rezente Übersetzungen, die auf das Hebräische zurückgingen, im Gegensatz zu den älteren traditionellen Fassungen (wie ihre eigene Bibel) den Busch als "Dornbusch" führten. Deshalb wäre es also klar, warum das dortige Gewächs mit dem bezeichnenden Namen Rubus sanctus den schönen Blasenstrauch ersetzt hat.
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Ein Nachwort
von Warda Bircher-Bleser
Papyrus-Logo Nr. 9/87, pp. 55—56

Ein kürzlich in Israel erschienenes Buch "Plants of the Bible" von Michael Zohary, Prof. für Botanik an der Universität von Jerusalem, erlaubt uns noch unter neuen Aspekten auf das Wunder am Mosesberg zurückzukommen. Die "Heilige Brombeere" Rubus sanctus (oder R. sanguineus), die beim Katharinenkloster den von den Mönchen in frühere Zeiten gepflanzten Blasenstrauch (Colutea istria) überwuchert, soll nach Ansicht des Autors nur in Mittel- und Nordisrael wild vorkommen. Andererseits ist es wahrscheinlich, daß das Wort "sneh" mit dem der "Brennende Busch" im ursprünglichen hebräischen Text bezeichnet worden ist, später als die aramäische Sprache das Hebräische ablöste, mit "Sania" von "tsinim" (Dorn) über das verwandte "Sinim", "Sinaia" übersetzt wurde, einem Wort, das in der Tat irgendeine Rubus-Art bezeichnen könnte. Dies ist ganz plausibel, denn laut Zohary wurde in der nach-biblischen Literatur schon aus obigem Grund ("Aramäisierung") die Meinung geäußert, daß der Brennende Busch auch eine dornige Pflanze gewesen sein könnte, wie dies ja in vielen Bibelübersetzungen festgestellt werden kann. Zohary scheint jedoch zu implizieren, daß das Wort "sneh" wahrscheinlich keine dornige Pflanze bezeichnete. Auch der alte griechische Text (die "Septuaginta"), aus dem Martin Luther seine Bibelübersetzung machte, scheint den Begriff "Dornen" im Bezug auf den Brennenden Busch nicht zu enthalten. Diese Überlegungen und die Tatsache, nach Zohary, daß Rubus weder im Sinai noch im übrigen Ägypten spontan vorkommt, machen es unmöglich daß der Brennende Busch ein Brombeerstrauch war.

Was aber ist dann unter "sneh" zu verstehen? Vom etymologischen und botanischen Standpunkt aus liegt die größte Wahrscheinlichkeit bei Cassia senna, arabisch "sene", der in warmen steinigen Wadis Ägyptens und des Sinai wild vorkommenden Medizinalpflanze. Man erkennt sie leicht an den Blättern, die aus 3—7 Paaren von länglichen, lanzettlich-zugespitzten Blättchen bestehen. Die Blüten sind gelb und die Schötchen im allgemeinen nicht gekrümmt. Cassia italica (C. obovata) sieht Cassia senna sehr ähnlich und wird arabisch ebenfalls "sene" genannt, ist aber blau-grün und hat umgekehrt-eiförmige, stumpfe, in 3—7 Paaren angeordnete Blättchen und gekielte, leicht gekrümmte Schötchen, die bei in einem gewissen Winkel einfallenden Sonnenlicht intensiv glänzen.
Wahrscheinlich ist letzteres auch bei Cassia senna der Fall, Zohary erwähnt auch Colutea istria mit ihren gelben Blüten, spricht aber weder bei ihr noch bei den beiden "sene"-Arten von den so auffallend im Lichte schimmernden Schötchen. Übrigens besteht, wie er sagt, kein linguistischer Beweis für eine Identifikation des Blasenstrauches mit dem Brennenden Busch.

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Fingerzeig Zum 2. Teil über "Christliche Klöster"
         Koptische Klöster am Roten Meer

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