Staat und Religion
    Inhalt:
    Die Anatomie des ägyptischen Staates der Gegenwart
    Religion und staatliche Ordnung im Islam
    Recht aktuell: Integrale Anwendung der Scharia
    Säkularisation und Islam – Einführung der Scharia
    Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil I
    Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil II
    Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil III

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Die Anatomie des ägyptischen Staates der Gegenwart
von Ralf Berger

Papyrus-Logo Nr. 11/86, pp. 15—18

Der Nahe Osten erfreut sich in den westlichen Medien eines regen Interesses. Es handelt sich in der Regel um eine aktuelle Berichterstattung über diese an spektakulären Ereignissen gewiß nicht arme Region. Besonderes Augenmerk widmet man Ägypten, das allgemein als der politische und kulturelle Mittelpunkt der arabischen Welt gilt. Eine wirklich überzeugende Analyse der Herrschaftsstrukturen und -formen in Ägypten existierte bisher auf dem deutschen Buchmarkt noch nicht. Nun aber beschäftigte sich ein Autor mit diesem Themenkreis: Peter Pawelka veröffentlichte 1985 im C.F. Müller-Verlag eine umfassende Studie mit dem Titel "Herrschaft und Entwicklung im Nahen Osten: Ägypten". Im Folgenden soll anhand dieses Werkes und seines wissenschaftlichen Ansatzes versucht werden, in groben Zügen die in Ägypten vorherrschenden Herrschaftsformen zu skizzieren.

Zunächst beschreibt und vergleicht der Autor verschiedene politische Systeme, um dann zu dem Schluß zu kommen, daß in Ägypten wohl am ehesten von einem neo-patrimonialen Herrschaftssystem gesprochen werden kann. Unter Patrimonialismus versteht er "eine personale Herrschaftsform, deren Legitimationsgrundlage traditionale Loyalität und materielle Leistungen bilden".

Im Mittelpunkt dieses politischen Systems stehe eine Persönlichkeit, die alle politischen Entscheidungen durch ein Netz personaler Beziehungen lenke. Die führenden Politiker und Beamten – der Autor bezeichnet sie als Elite – seien direkt oder indirekt von der herrschenden Persönlichkeit abhängig. Der Staat trage die Verantwortung für die Kontrolle und Sicherung einer sozialen und kosmischen Ordnung. Daher sei die intensive Sorge des Staates um das gesellschaftliche Wohlergehen ein Wesensmerkmal des patrimonialen Systems.

Zwei weitere Eigenschaften dieser Staatsform sind die bürokratische Struktur, die den gesamten Kontakt zwischen der politischen Elite und der Gesellschaft monopolisiert und die Bemühungen des Staatsapparates, die Herausbildung autonomer gesellschaftlicher Organisationen zu verhindern.

Nach diesen allgemeinen Definitionen wendet sich der Autor den besonderen Gegebenheiten Ägyptens zu. Er stellt fest, daß für die Neuordnung des politischen Systems in erster Linie der politische Sieg Nassers über Großbritannien und Frankreich im Verlauf der Suez-Kanal-Krise entscheidend gewesen sei. Dieser Sieg habe Nasser die Legitimation verliehen, die aus dem präsidentiellen System eine patrimoniale Herrschaft erwachsen ließ. Nasser entwickelte sich zu einer charismatischen Führerpersönlichkeit für Ägypten und für die gesamte arabische Welt. Eine ähnliche Legitimation erwarb sich Sadat durch die Rückkehr des Sinai und in gewisser Weise auch durch den Frieden mit Israel. Mubarak hatte bisher keine ähnliche Chance, es sei denn, man wertet die im Taba-Konflikt anstehende Lösung als weiteren Sieg. Sowohl Sadat als auch Mubarak fehle es laut Pawelka an jenem Charisma, das Nasser auszeichnete.

Im Verlauf der vergangenen dreißig Jahre habe sich das Präsidentenamt weit über seine verfassungsrechtliche Verankerung hinaus entwickelt. Der Präsident sei Quelle jeder politischen Grundsatzentscheidung und ideologischer Denkanstöße.

Die Präsidenten umgaben und umgeben sich mit einer Elite. In ihren Strukturen entspricht diese Elite den bürokratischen Zentralgewalten des Osmanischen und des Persischen Reiches. Die Herrscher waren von vier administrativen Systemen umgeben, dem Hof, der zentralen Verwaltung, den hohen Militärs und der hohen Geistlichkeit. Die Führer dieser Bereiche wurden jeweils von dem Herrscher ernannt.

Eine ähnliche Struktur der Aufteilung der politischen Herrschaft habe sich in der Sadat-Zeit entwickelt. Dem Hofbereich entspricht heute der persönliche Beraterkreis des Präsidenten. Der traditionelle religiöse Bereich ist heute noch der schwächste. Mit Mubarak kam noch ein fünfter Bereich hinzu, die vom Präsidenten geförderten verschiedenartigen Gruppen der Gesellschaft, wie Gewerkschaften, Verbände, Wirtschaft und soziale Institutionen.

Zwischen den Präsidenten und ihren Eliten entwickelte sich ein gewisses Klientel- oder Mandatsverhältnis, denn die Präsidenten übertrugen nur Personen ihres Vertrauens die wichtigen Ämter. Damit kontrollierten sie wiederum den gesamten Staatsapparat. Pawelka stellt somit fest, daß diese personalen Beziehungen zwischen den Präsidenten und ihren Amtsträgern die entscheidende Struktur der politischen Herrschaft in Ägypten bilde.

Woher kommt diese Elite? Sie stammt nicht mehr aus dem Großbürgertum und den reichen Landbesitzerkreisen, sondern aus der Mittelschicht. Allerdings haben zwei Drittel der Führer einen Universitätsabschluß. Die Berufsstruktur ist breit gefächert, neben Juristen wurden insbesondere in der Nasser-Zeit Ingenieure, Naturwissenschaftler, Manager und Verwaltungsspezialisten in den neuen Führungskader aufgenommen. Dennoch hatten die Militärs in der Nasser-Zeit eine besondere Stellung inne. Damals waren Offiziere noch mit 35% im Kabinett vertreten. Sadat leitete eine "Demilitarisierung" der politischen Elite ein. In seiner Zeit verringerte sich die Zahl der Offiziere im Kabinett auf knapp 16,5%. Sadat konzentrierte das Militär auf seine Funktion als Garant des Staates. Mubarak setzte diesen Weg fort. Welche Rolle das Militär jedoch unter Krisenbedingungen spielt, haben die Aufstände in diesem Frühjahr gezeigt. Für begrenzte Zeit rückte es wieder voll in die politische Elite ein.

Heute ist eine neue Gruppe, die der Partei- und Mandatsträger, Teil der Elite geworden. Mit der Schaffung eines Parlaments und einer beratenden Versammlung (Shura-Council) eröffnete Sadat ein neues, erweitertes Betätigungsfeld für die Elite.

Das patrimoniale System konzentriert sich stark auf Prozesse der Machtbalance. Um Machtkonzentrationen innerhalb der Elite zu verhindern, die den Spielraum der Präsidenten einschränken würden, wurden Zuständigkeiten und Funktionen auf mindestens zwei oder mehrere Ministerien oder Ämter aufgeteilt. So konnte der jeweilige Präsident alle Gruppen gegeneinander ausbalancieren. Auch das Parlament und das Shura-Council sind in diesem Zusammenhang zu sehen, denn beide Einrichtungen können dazu dienen, elitäre Macht- und Positionskämpfe bereits im Vorfeld zu neutralisieren und den engeren Bereich des Präsidentenamtes davon freizuhalten.

Positiver Nutzeffekt einer Machtbalance ist die Tatsache, daß einschneidende Veränderungen der politischen Richtung unwahrscheinlich sind, es sei denn, sie gehen direkt vom Präsidenten aus. Negativ macht sich diese Machtbalance durch eine hochgradige Unbeweglichkeit bemerkbar, weil niemand ohne andere handeln kann. Erneuerungstendenzen lassen sich so unter Kontrolle bringen und notfalls kalt stellen.

Neben der abhängigen Elite bildet eine weitgefächerte Bürokratie das Fundament der patrimonialen Herrschaft. Bürokratie und Ägypten sind seit Jahrtausenden untrennbar miteinander verknüpft. Was wunder, wenn Peter Pawelka der Meinung ist, daß es sich bei der Revolution von 1952 um eine bürokratische Revolution gehandelt habe. Ausgehend von den Militärs mußten diese sich jedoch weitgehend auf die vorhandene Bürokratie stützen, um ein Chaos nach der Machtübernahme zu verhindern. Säuberungen wurden daher auf eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Spitzenbürokraten, Männer der alten Ordnung, in neuralgischen Sektoren, beschränkt. Das Militär wurde Teil der Bürokratie, sozusagen eine "bewaffnete Bürokratie". Offiziere wurden in Schlüsselstellungen der Verwaltung und der verstaatlichten Industrie eingesetzt. Ihre Zahl war jedoch mit nur 6% der gesamten Beamtenschaft relativ gering. Lediglich im Sicherheitsbereich, im Innenministerium, in den Provinzverwaltungen und im Präsidialamt war ihre Zahl höher. Erst in den 70er Jahren erfolgte eine Professionalisierung des Militärs und damit eine Ausgrenzung aus dem Bürokratiesystem.

Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß auch die bürokratische Elite einen sehr hohen Bildungsstand inne hat. Schon in der Nasser-Zeit betrug die Akademikerrate 97%. Überwiegend kam diese Bürokratie-Elite aus dem Mittelstand.

In patrimonialen Bürokratien besteht die Tendenz, möglichst viele Entscheidungen ins Zentrum der Macht zu verlegen. Auch die häufig beobachtete Tatsache unklarer Normierung im bürokratischen Prozeß ist ein charakteristisches Merkmal patrimonialer Bürokratie.

Alle Interessengruppen, von den Gewerkschaften bis zu den religiösen Vereinigungen, wurden einer effektiven bürokratischen Kontrolle unterworfen und ihre Organisationen erhielten bürokratische Strukturen. Selbst die politischen Parteien wurden zu einem Werkzeug der Bürokratieklasse. Auch die in der Sadatzeit erfolgte Liberalisierung war ein Werk der Bürokratie. Sie organisierte die staatstragenden Parteien, steuerte die Rekrutierung ihrer Mitglieder und verordnete den Aufbau von Oppositionskräften.

Für das patrimoniale Konzept typisch ist die Tatsache, daß sich die Bürokratie intensiv um die wirtschaftliche Entwicklung und um die Wohlfahrt der Menschen kümmert. Man versucht, dies in Ägypten durch Protektionismus und eine intensive Subventionspolitik zu erreichen.

Hervorgehoben werden muß auch die polypenähnliche Ausdehnung der Bürokratie. Gab es 1952 nur etwa 350.000 Beamte, ohne Militär, Staatsunternehmen und Lehrpersonal, so stieg diese Zahl bis zum Beginn der 80er Jahre auf 2,1 Millionen Beamte an. Ursache dafür war unter anderem eine Übernahmegarantie für alle Studienabgänger. Heute versucht man, dieses Wachstum zu bremsen.

Kurz sei noch auf die Verhaltensweisen der Bürokratie eingegangen. Die Furcht vor einer "falschen" eigenen Entscheidung zwingt den Bürokraten, sich an die obersten Vorgesetzten zu wenden. Die bürokratische Struktur fungiert so als permanenter Rückkoppelungsmechanismus der Machtkonzentration. Im System hängt die Karriere sehr stark vom persönlichen Vertrauen der politisch Einflußreichen ab. Nicht selten überlagern politische Beziehungen und personale Loyalität Kriterien wie Kompetenz, Leistung, Fleiß und Verantwortungsbewußtsein.

Dies kann zum Teil so weit gehen, daß die Führungsspitze in gewissem Sinn selbst Korruption und Bestechung toleriert, denn mit einer "geplanten Korruption" läßt sich das Herrschaftssystem gut absichern.

Damit soll die Skizzierung des derzeitigen ägyptischen Herrschaftssystems abgeschlossen werden. Über die Parteien, die Legislative und die wirtschaftlichen Kräfte und ihr Hineinwirken in das Herrschaftssystem dieses Landes wird an anderer Stelle berichtet werden.

Literatur:
    • Peter Pawelka, Herrschaft und Entwicklung im Nahen Osten: Ägypten (UTB-Taschenbuch 1384), Heidelberg 1985, 465 S., DM 34.80

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Religion und staatliche Ordnung im Islam
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 1/87, pp. 24—26

Der moderne Islam sieht sich vor Aufgaben gestellt, die früher nicht oder nicht in dem Maße wie heute denkbar waren. Die Mehrheit der muslimischen Theologen betrachtet den Islam als universelles Lebensprinzip, durch das, neben religiösen und spirituellen Aspekten, auch alle anderen Seiten des menschlichen Lebens geregelt werden. Dazu zählt man unter anderem die sozialen, wirtschaftlichen und auch politischen Angelegenheiten der Menschen. Gern wird in diesem Zusammenhang der Satz zitiert: "Der Islam regelt das gesamte Leben des Menschen, von der Wiege bis zum Grab."

Umstritten ist allerdings der machtpolitische Aspekt des Islam. Fest steht hingegen, daß der Islam zur Zeit des Propheten und der ersten Kalifen auch eine politische Ordnung darstellte, insofern, als religiöse und politische Herrschaft in einer Hand vereinigt waren. Im frühen Islam war es undenkbar, daß die Herrschaft von jemandem ausgeübt wurde, der nicht gleichzeitig das Vertrauen der religiösen Kräfte besaß. Dementsprechend waren die Kalifen zugleich weltliche und geistliche Herrscher.

Die politische Herrschaft wird ebenso wie jedes religiöse Postulat auf Koran und Sunna zurückgeführt, darunter den sogenannten "sozialen Imperativ", wonach "das Gute zu befehlen und das Schlechte zu verbieten" sei (z.B. in Sure 22, Vers 41).

Eine Idealvorstellung zu allen Epochen der islamischen Geschichte war es, daß der "beste Muslim" den Staat regieren soll. Der beste Muslim ist durch Wahl zu bestimmen, wie es im ersten islamischen Jahrhundert der Fall war. Allerdings war die Freiheit der Entscheidung bald nicht mehr gegeben. Dies bezeugt die Überlieferung von der Einsetzung Yazids als Nachfolger des Omayyadenkalifen Muawiya. Muawiya habe gegen Ende seines Lebens die Delegierten der wichtigsten Provinzen zu sich gerufen, damit sie den Gehorsamseid auf Yazid ablegen. Ibn Al-Muqaffa, auf den diese Überlieferung zurückgeht, habe sodann gesagt: "Dies ist der Beherrscher der Gläubigen!" Dabei zeigte er auf Muawiya. Sodann: "Dies ist sein Nachfolger!" Und er zeigte auf Yazid. Und schließlich: "Und dies ist für denjenigen, der gegen diese Entscheidung opponiert!", wobei er auf sein Schwert zeigte.

Im Laufe der weiteren islamischen Geschichte tauchte eine immer größere Unsicherheit über die Form der Herrschaft auf, weshalb es später de facto zu einer Trennung zwischen Staatsangelegenheiten und Religion kam. Dennoch war stets die Vorstellung hinsichtlich der Einheit von Din (Religion) und Daula (Staat) präsent.

Dieser Gedanke ist freilich auch in anderen Kulturen und Religionen nichts Fremdes. Beispielsweise gab es bis in die Neuzeit im christlichen Europa vehemente politische Machtansprüche der Kirche (Investiturstreit, Bischöfe als Landesfürsten, Kirchenstaat etc.). Dies trotz des bekannten Bibelspruchs, "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist."

Erst Rationalismus und Aufklärung sorgten für das Entstehen säkularistischer Ideen, wodurch die Herrschaftsbestrebungen der Kirche beschränkt wurden. Offensichtlich gehört es zu den Wesenszügen einer jeden religiösen Bewegung, ihr "Himmelreich auf Erden" durchzusetzen.

Die termini technici für die islamische Staatstheorie sind Kalifat (chilafa) und Imamat (Imamiyya). Der Kalif wird als Nachfolger oder Stellvertreter des Propheten (= chalifat ar-rasul) angesehen, nicht aber als Stellvertreter Gottes. Eine ähnliche Funktion erfüllt der Imam (wörtl.: Führer, Leiter); der Begriff des Imamats wurde besonders von schiitischen Dogmatikern ausgebaut. Die beiden Begriffe schließen den Willen der Umma (= der islamischen "Nation") ein; erst ein Konsensus (Idschmaa) innerhalb der Umma rechtfertigt den Herrschaftsanspruch.

Der islamische Herrschaftsanspruch findet seinen Ausdruck in der Scharia, wo eindeutige Richtlinien für die Ausübung der Herrschaft und die geforderte Qualität des Herrschers festgelegt sind.

Erst die Einhaltung der Scharia macht aus einer zivilen Herrschaft eine religiöse Herrschaft. Allfällige mangelnde Kenntnisse des Herrschers über das islamische Gesetz können durch die Beistellung eines Rates von Gelehrten ausgeglichen werden. Dieses Prinzip der Shura (= Beratung) hat Eingang in die modernen Verfassungen der meisten islamischen Länder gefunden. Eine weitere Beratungsfunktion erfüllt der Mufti und das ihm unterstellte Büro für Entscheidungsfragen, dessen Aufgabe gleichfalls in der Koordinierung der Regierungs- und Verwaltungspraxis mit den Normen der Scharia besteht.

Da die Scharia als das abgeschlossene und unveränderliche Gesetz Gottes angesehen wird, muß jede Rechtsbestimmung oder Entscheidung, die damit vereinbar ist, eo ipso als gut und gerecht gelten. Die Scharia stellt ein genuines islamisches Rechtswerk dar, welches ohne "importierte" Rechtsbestimmungen auskommt. Das ist der Grund, weshalb viele orthodoxe Muslime in Ägypten die Meinung vertreten, die Einführung der Scharia sei geeignet, die ökonomischen, kulturellen und politischen Probleme des Landes zu lösen.

Vor kurzem hat der Scheich der Azhar, Gad al-Haqq Ali Gad al-Haqq in einem Interview (in der Zeitschrift "at-Tasawwuf al-Islami" Nr. 95 vom Dezember 1986) zu einigen Themen Stellung genommen, die oben angeschnitten wurden. Darin erklärte Scheich Gad al-Haqq das Prinzip der Shura zum "eigentlichen Kernpunkt der islamischen Herrschaftsordnung". Dieses Prinzip ist "tiefgreifender als das europäische Demokratieverständnis, welches die islamischen Länder imitiert haben."

Auch der Prophet Muhammad habe sich der Shura seiner Gefährten unterworfen. Was die "derzeit in Kraft befindlichen und international üblichen Verfassungs- und Grundgesetze" betrifft, so hätten diese durchaus ihre Berechtigung, und "es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die islamischen Staaten Teile davon, die mit dem Shura-Prinzip im Einklang stehen, übernehmen".

Erwartungsgemäß erteilt der Scheich al-Azhar allen Säkularisierungsbestrebungen in Ägypten eine klare Absage. Derartige Pläne seien "gegen den Islam und seine Bestimmungen" gerichtet und würden "zionistisches Gedankengut" in sich tragen.

Demgegenüber habe der Islam "nichts gegen das Mehrparteiensystem einzuwenden", denn "bereits nach dem Tode des Propheten hat es zwei Parteien gegeben": die Ansar (= Anhänger des Propheten in Medina) und die Muhagirun (= die ersten Mekkaner, welche die Hidschra des Propheten mitgemacht hatten).

Der Scheich Al-Azhar bestätigte schließlich die immer wieder vorgebrachte Ansicht, die Einführung der Scharia stelle "die Lösung für alle chronischen und verworrenen Schwierigkeiten" dar, denn sie umfasse neben "wirtschaftlichen und finanzpolitischen Regelungen" auch ein ausgebildetes "Herrschaftssystem".

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Recht aktuell: Integrale Anwendung der Scharia
von Dieter Bögner

Papyrus-Logo Nr. 5—6/85, pp. 52—56

Seit einiger Zeit wird in der ägyptischen Presse die Wiedereinführung (richtig: die umfassende Anwendung) der Scharia angesprochen (Anm. 1), darunter in zwei Interviews des Großscheichs von Al Azhar (Anm. 2). Nach Presseberichten (Anm. 3) wird sich das ägyptische Parlament voraussichtlich im Mai dieses Jahres mit dieser Frage befassen. Der nachfolgende Beitrag soll einige Informationen zur Thematik vermitteln.

I. Die Scharia
1. Die Scharia ist das Recht des Islam. (Ursprüngliche Bedeutung des arabischen Wortes Šarî'a: "Weg durch die Wüste, der zu einer Wasserstelle führt"). Von einer ursprünglichen Identität von Staat und Religionsgemeinschaft ausgehend, ist die Scharia zugleich staatliches und religiöses Recht. Sie enthält die von Gott gesetzte und von Mohamed, dem Propheten, offenbarte Schöpfungsordnung, die bis zum Jüngsten Gericht grundsätzlich für die ganze Welt gültig ist. Als umfassende Pflichtenlehre regelt sie die Beziehungen des Menschen
Kreuz zu Gott (religiöses Recht i.e.S.: kultische und rituelle Gebote zum Gebote zum Gebetsdienst, zur Reinheit und Almosenpflicht der Gläubigen, zu den Fastenzeiten und Feiertagen, zur Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten des Islam sowie zum heiligen Krieg),
Kreuz zu den Mitmenschen (Privatrecht, insbesondere Familien-, Erb- und Vermögensrecht) und
Kreuz zur Gemeinschaft (öffentliches Recht, insbesondere Straf-, Verfahrens- und Staatsrecht).
  Dabei gibt es keine Trennung dieser Beziehungen in einen religiös/sakralen und einen profanen/säkularen Bereich.
  Quellen der Scharia, die bisher nicht zusammenfassend kodifiziert worden ist, sind:
Kreuz der Koran
Kreuz das überlieferte Verhalten (Reden, Handlungen, stillschweigende Billigung des Propheten Mohamed und seiner Gefährten (Sunna)),
Kreuz der Consensus der Gemeinde oder Rechtsgelehrten (Idschma) sowie die verschiedenen Rechtsschulen des Islam.
  Die – auch in Ägypten vertretene – sunnitische Richtung des Islam kennt hauptsächlich vier Rechtsschulen (Hanefiten, Malikiten, Schafi'iten, Hanbaliten), die – vor allem im Iran vertretene – schiitische Richtung im wesentlichen eine (Imamiten).
2. In den Verfassungen folgender Staaten wird der Islam als Hauptquelle der Gesetzgebung genannt: Ägypten, Syrien, Kuwait, Katar, Bahrein, Vereinigte Arabische Emirate, Arabische Republik Jemen und Sudan.
  Saudi-Arabien und Oman, die über keine eigene Verfassung verfügen, erkennen den Islam als einzige Quelle der Gesetzgebung an. In den meisten islamischen Staaten gilt die Scharia gegenwärtig nur auf einigen Rechtsgebieten, vor allem im Familien- und Erbrecht; in diesem Fall ist sie nur für Muslime verbindlich. In Abu Dhabi, Iran, Libyen, Oman, Pakistan, Saudi-Arabien und im Sudan wird sie auf nahezu allen Rechtsgebieten angewandt.
3. Eine Darstellung der Grundzüge der Scharia würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Es können daher nur einige Grundsätze ausgewählter Rechtsgebiete stichwortartig aufgeführt werden.
  3.1. Eherecht:
  Kreuz Religiöse Pflicht zur Eheschließung
  Kreuz Ehehindernis der Religionsverschiedenheit:
  Muslim darf auch Christin oder Jüdin heiraten (Kor. 5, 5)
  Moslema darf nur Moslem heiraten
  Kreuz Polygame Ehe
  Muslim darf bis zu vier Ehefrauen haben (Kor. 4, 3)
  Kreuz Morgengabe (Kor. 4, 4)
  Kreuz Disziplinarrecht des Mannes (Kor. 4, 34)
  Gehorsamspflicht der Ehefrau
  Kreuz Verstoßungsecht des Mannes (talaq)
  (z.B. Kor. 2, 230f., 236, Kor. 33, 49, Kor. 65, 1ff.)
  3.2. Erbrecht:
  Kreuz Gesetzlicher Erbanteil männlicher Erben jeweils doppelt so hoch wie der weiblicher Erben (Kor. 4, 11f., 176)
  Kreuz Pflicht zur Errichtung letztwilliger Verfügung (Kor. 5, 180)
  3.3. (Materielles) Strafrecht:
  3.3.1. Delikte gegen Leib und Leben:
  Kreuz vorsätzliche Tötung, vorsätzliche Körperverletzung:
  Verwandte des Opfers haben (bzw. Opfer hat) auf Tötung (bzw. Verletzung) gerichteten Vergeltungsanspruch (Kor. 2, 178, Kor. 17, 33). Statt Vergeltung kann "Blutgeld" gefordert werden (Kor. 2, 178).
  Kreuz Fahrlässige Tötung:
  Angehörige des Opfers haben Anspruch auf "Blutgeld"; außerdem hat Täter Buße (früher Freisetzung eines Sklaven, heute z.B. Fasten) zu leisten (Kor. 4, 92).
  3.3.2. Delikte mit festen Strafen (hadd):
  Kreuz Unzucht (einschl. Ehebruch):
  Nach Kor. 23, 7 und Kor. 70, 31 sind außereheliche Beziehungen verboten. Strafe: Tod durch Steinigung (für verheiratete Täter) bzw. 100 Peitschenhiebe (für ledige Täter) nach Kor. 24, 2
  Kreuz falsche Bezichtigung der Unzucht:
  Strafe: 80 Peitschenhiebe (Kor. 24, 4)
  Kreuz Alkoholgenuß:
  Strafe: je nach Rechtsschule 40 bzw. 80 (Saudi-Arabien, Iran) Peitschenhiebe
  Kreuz Diebstahl (wertvoller und angemessen verwahrter Gegenstände):
  Strafe: Handabtrennen (Kor. 5, 38), zunächst rechte Hand
  Kreuz Straßenraub (Kor. 5, 33):
  Strafe, Abtrennen rechter Hand und linken Fußes, im Wiederholungsfall linker Hand und rechten Fußes; bei Tod des Opfers: Todesstrafe (öffentliche Hinrichtung, insbes. Kreuzigung)
  3.3.3. Abfall vom Islam:
  Todesstrafe
  3.3.4. Andere Delikte (ta'zir) ohne feste Strafen (z.B. Betrug, Urkundenfälschung, Erpressung, falsche Aussage, Bestechung, Wucher, Beleidigung):
  Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Züchtigung, Ermahnung u.a., nach Ermessen des Gerichts
  3.4. Strafverfahrensrecht:
  Beweismittel sind – widerrufliches – Geständnis des Angeklagten oder Aussage von zwei Zeugen, bei Ehebruch (Unzucht) von vier männlichen Zeugen (Kor. 4, 15, Kor. 24, 4). Bei Ehebruch kann der Beweis auch durch fünfmalige Aussage des Mannes (feierliche Bezeugung unter Anrufung Gottes) geführt werden (Kor. 24, 6f.); in diesem Falle kann die Frau durch fünfmaliges Abschwören ihre Unschuld beweisen (Kor. 24, 8f.).
 
II. Islamisches Recht in Ägypten
1. Nach Artikel 2 Satz 1 der ägyptischen Verfassung (in der Fassung vom 22.05.1980) ist der Islam die Staatsreligion Ägyptens. Art. 2 Satz 2 der Verfassung bezeichnet das islamische Recht als die (Wortlaut der früheren Verfassung: eine) Hauptquelle der Gesetzgebung. Islamisches Recht kommt in Ermangelung anderer Rechtsnormen und im Falle des Konfliktes des Rechts verschiedener Religionen und Bekenntnisse zur Anwendung (Art. 6 des Gesetzes Nr. 462/1955, Art. 1 Abs. 2 Code Civil). Bei der Anwendung der Scharia sind grundsätzlich die Regeln der hanefitischen Rechtsschule verbindlich (Art. 280 des Gesetzes Nr. 78/1931). In einigen Gesetzen (z.B. Nr. 25/1920, Nr. 25/1929) finden sich jedoch auch Regeln der malikitischen und hanbalitischen Rechtsschulen.
2. Im Familien- und Erbrecht gelten die Normen der Religionsgemeinschaft, der die Beteiligten angehören (Art. 6 des Gesetzes Nr. 462/1955). Da sich etwa 90% der ägyptischen Bevölkerung zum Islam bekennen und islamisches Recht außerdem bei Religions- und Bekenntnisverschiedenheit Anwendung findet (vgl. Nr. 1), ist der Einfluß der Scharia hier auch in der Praxis weitgehend bestehen geblieben. Die sich auf Familie und Erbfolge beziehenden Regeln der hanefitischen Rechtsschule wurden im Jahre 1875 unter dem Titel (der deutschen Übersetzung) "Gesetzbuch über das Personenrecht und die Erbfolge nach dem hanefitischen Ritus" von Kodri Pascha kodifiziert. Der Entwurf wurde formell nie Gesetz; er wird jedoch in der Rechtspraxis angewandt. Die Kodifikation regelt das Eherecht umfassend, das Kindschafts- und Erbrecht weitgehend; sie wird durch eine Reihe von Gesetzen (Nr. 25/1920, Nr. 25/1929, Nr. 44/1979, Nr. 77/1943 und Nr. 71/1946) ergänzt bzw. inhaltlich übernommen.
3. Im Bereich des Personenstandswesens wurde die Scharia teilweise, im Verfahrensrecht nahezu vollständig verdrängt. Geburts- und Todesfälle werden von staatlichen Behörden beurkundet (Gesetz Nr. 23/1912), religiöse Eheschließungen und private Scheidungen (Verstoßungen) staatlich registriert (Gesetze Nr. 68/1947 i.d.F. Nr. 629/1955, 260/1960 158/1980 sowie Nr. 25/1929, i.d.F. Nr. 44/1979). Die Scharia-Gerichtsbarkeit ist seit 01.01.1956 abgeschafft (Gesetz Nr. 462/1955). Obwohl im Schuld-, Sachen-, Handels-, Zivilprozeß-, Straf- und Strafprozeßrecht ausschließlich staatliches – teilweise unter französischem Einfluß entstandenes – Recht gilt, sind doch vereinzelt (z.B. im Vermögensrecht) islamische Rechtsgedanken zu finden. In diesem Zusammenhang dürfte auch §381 Abs. 2 Code d'Instruction Criminelle zu sehen sein, wonach das zuständige Gericht vor Verkündung der Todesstrafe das Gutachten des Mufti der Republik (islamischer Gelehrter, der als Mitglied der Abteilung für Rechtsgutachten des Staatsrats dem Justizministerium beratend zur Seite steht) einzuholen hat. (Das Gutachten soll allerdings für das Gericht nicht bindend sein.)
 
III. Zusammenfassung
Aus Abschnitt II. ergibt sich, daß die Scharia in Ägypten bereits grundsätzlich eingeführt ist (Ziff. 1) und auf einzelnen Rechtsgebieten vollständig (Ziff. 2) oder teilweise (Ziff. 3) angewendet wird. Bei der jetzt geführten Diskussion geht es darum, ob die Scharia auf alle Rechtsgebiete ausgedehnt werden soll (Ziel: integrale Anwendung auf alle Lebensbereiche). Die Frage, ob hierzu die Wiedereinführung der Scharia-Gerichsbarkeit erforderlich wird, wurde nach Presseberichten (Anm. 4) vom Großscheich von Al Azhar verneint.
Anmerkungen:
Literatur:
    • Grolier, Universal Encyclopedia, Vol. 9, p. 226 ("sharia")
    • Brockhaus Enzyklopädie (1973), Bd. 16, S. 611f. (Stichwort "Scheria")
    • Kreiser-Diem-Majer, Lexikon der Islamischen Welt, 3. Band (Verlag W.Kohlhammer, 1974); Stichworte "Recht" (S. 56ff.), "Rechtsschulen" (S. 62ff.), "Strafrecht" (S. 126)
    • Ende-Steinbach, Der Islam in der Gegenwart (Verlag C.H.Beck, München, 1984), S. 139ff., S. 170ff. sowie Anm. 1 und 2 auf S. 641; S. 181f.; S. 188f.
    • Prader, Das religiöse Eherecht der christlichen Kirchen, der Mohammedaner und der Juden (Alfred Metzner Verlag, Frankfurt, 1973), S. 84f.
    • Der Koran, deutsche Übersetzung von Rudi Paret, 2. Auflage (Verlag W.Kohlhammer, 1980)
    • Amtliche Erläuterungen zum (ägyptischen) Gesetz Nr. 44/1979, deutsche Übersetzung in Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Band I "Ägypten" (Verlag für Standesamtswesen, Frankfurt a.M.), S. 82f. (Die Ehe), S. 86 (Das Recht der tâ'a), S. 88 (Mut'a der Verstoßenen), S.84f. (Ehescheidungen wegen Verfehlungen), S. 94 letzter Absatz (vorläufige Entscheidung)
    • Gesetzbuch über das Personenrecht und die Erbfolge nach dem hanefitischen Ritus (1875), deutsche Übersetzung in Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Band I, "Ägypten", Art. 31 und 120, Art. 122, Art. 217, Art. 150ff.

(Das komplizierte und aufwändige Fußnotensystem der Vorlage wurde verkürzt und durch die Literaturliste ersetzt. –Anm. KFN.)

Karikatur
Religiöser Fanatiker zu seiner strenggläubigen Frau:
"Ich habe dir nur erlaubt, Altertumswissenschaft zu studieren.
Aber Du... willst doch nur mit Deinen Reizen kokettieren!"

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Säkularisation und Islam – Einführung der Scharia
Interview mit Dr. Farag Foda
Das Gespräch führten Elisabeth Claus und Alfred Huber.

 
(Dr. Farag Foda wurde 1996 von Islamisten in Kairo ermordet –Anm. KFN.)

Papyrus-Logo Nr. 1/87, pp. 27—31

Die Einführung der Scharia (= des islamischen Rechts) wird immer vehementer von – meist fundamentalistisch eingestellten – Bevölkerungskreisen in Ägypten gefordert. Allerdings wächst auch die Zahl der Kritiker, die sich vor allem deshalb dagegen aussprechen, weil, ihrer Meinung nach, mit der Übernahme sämtlicher islamischer Regeln und Bestimmungen als Staatsgesetze ein religiöser Staat entstehen würde, in dem ausschließlich religiöse Würdenträger die Politik des Landes zu bestimmen hätten. Diese Befürchtung wird auch von vielen mäßigen Muslimen geteilt. Dennoch gibt es relativ wenige Persönlichkeiten, die auch in der Öffentlichkeit gegen die Einführung der Scharia, und damit für die Fortsetzung eines gemäßigten säkularen Staatskurses auf demokratischer Grundlage Stellung nehmen. Einer dieser wenigen ist Dr. Farag Ali Foda, dessen im Vorjahr erschienenes Buch "Vor dem Fall" (qabla s-suqut) die heißen Themen Scharia und Säkularisation behandelt. Das Buch wurde ein erstaunlicher Erfolg: 17.000 Stück sind bisher verkauft. Ein weiteres Buch unter dem Titel "Die abwesende Wahrheit" (al-haqiqa al-ghaiba) befindet sich zur Zeit in Druck.

Farag Foda (geb. 1945, Agrarökonom, verheiratet, vier Kinder) erklärte sich PAPYRUS gegenüber zu einem umfassenden Gespräch bereit. Nachstehend eine Zusammenfassung dieses Interviews.

PAPYRUS: Sind Sie politisch aktiv, und würden Sie sich als Politiker bezeichnen?
Dr.F.Foda: Selbstverständlich. Dies geht auch daraus hervor, daß ich von 1976 bis 1984 Mitglied der Neuen Wafd-Partei war. Dann bin ich wegen der Annäherung zwischen Wafd und Ichwan (ein Zweig der Moslembrüder) aus dieser Partei ausgetreten. Ich bin jetzt dabei, eine neue Partei zu gründen, die "mustaqbal" (= die Zukunft) heißen soll. Bisher wurde sie aber noch nicht zugelassen, obwohl wir seit eineinhalb Jahren versuchen, einen Termin beim Gericht zu bekommen. Wir warten also weiter. Es soll die eine liberale, säkulare Partei werden, mit einem Sinn für Umweltprobleme, ähnlich wie die Grünen in Europa. Auch den Sudan wollen wir in unsere Überlegungen einbeziehen, da wir an die Einheit des Niltals glauben.
PAPYRUS: Welches sind die Hauptthesen, die Sie in Ihren Büchern vertreten?
Dr.F.Foda: Ich versuche nachzuweisen, daß der Islam in erster Linie eine Religion ist und daß es keine Vermischung zwischen Religion und Politik geben darf. Ich behaupte, daß es niemals ein sogenanntes "Goldenes Zeitalter" in der islamischen Geschichte gegeben habe – was die Politik betrifft, und daß sich auch heute niemand nach dieser Zeit zurücksehnen sollte.
PAPYRUS: Aber glauben Sie nicht, daß die Geschichte einen gewissen Vorbildcharakter für die heutigen Entwicklungen haben kann?
Dr.F.Foda: Für mich zählt in erster Linie die Gegenwart. Man soll logische Schlüsse und Lehren aus der Vergangenheit ziehen, aber keinen unnötigen Vergleich anstellen.
PAPYRUS: Wie reagieren die Spezialisten in Theologie und Rechtswissenschaft, wenn sich ein promovierter Landwirt wie Sie mit dem Verhältnis zwischen Staat und Religion befaßt?
Dr.F.Foda: Man muß nicht Theologie und Recht studiert haben, um logisch denken zu können. Ich wurde Politiker, weil ich es als meine Pflicht empfand, mich bestimmten nach rückwärts gerichteten Strömungen entgegenzustellen.
PAPYRUS: Sie berühren aber Fragen in Ihren Büchern, die vornehmlich dem Bereich von Scharia und Fiqh (Recht) entstammen.
Dr.F.Foda: Ich habe in dieser Hinsicht sehr viel gelesen und mich entsprechend informiert. Manchmal ist es jedoch besser, etwas Abstand zu den Dingen zu haben; man sieht klarer und weniger einseitig, wenn man nicht direkt drinsteckt.
PAPYRUS: Werden Sie von denen, die Sie kritisieren, nicht öfter als "Ungläubiger" bezeichnet?
Dr.F.Foda: Von manchen ja, aber Drohungen kümmern mich nicht. Man hat sogar schon auf Versammlungen der Fundamentalisten gesagt, es sei halal (Pflicht), mich zu töten. Einmal bin ich auch zu einer ihrer Veranstaltungen in der Ain Shams-Universität gegangen, wo über die Einführung der Scharia diskutiert wurde. Ich habe mich hingestellt und über meine Ansichten diskutiert, von deren Richtigkeit ich überzeugt bin und niemand konnte etwas dagegen sagen. Ich habe erkannt, daß das Land mutige Leute braucht, es aber zu wenige gibt.
PAPYRUS: Wie ist die Situation heute, Ihrer Meinung nach, welche Partei ist die stärkere? Woher kommt der Mangel an Mut?
Dr.F.Foda: Das ist schwierig zu sagen. Einmal liegt es daran, daß vielen die Situation und Problematik nicht klar ist, sie wissen nicht, wo die Regierung steht, die letztlich den Ausschlag gibt. Die Regierung hat sich bis jetzt einer Philosophie des Kompromisses bedient, die das Verhältnis zu den Radikalen nicht bessern konnte. Ich sage, es gibt keinen Mittelweg in der Beziehung zu den religiösen Radikalen.
PAPYRUS: Ihre Meinung ist also, daß der Staat ein säkularer sein müsse. Wie ist das aber mit der weitverbreiteten Auffassung zu vereinbaren, daß der Islam Din (Religion) und Daula (Herrschaftsordnung) sei?
Dr.F.Foda: Ich bin nicht für die Trennung von Religion und Staat, das ist in Ägypten nicht möglich. Aber ich bin gegen die Vermischung von Religion und Politik. Das ist ein Unterschied! Der Staat soll, so wie bis jetzt, durchaus verantwortlich sein für den Religionsunterricht in den Schulen, für religiöse Feiertage, für alle Familienangelegenheiten, für die Azhar usw. Aber die Politik muß von der Religion getrennt bleiben.
Meine Ansichten darüber möchte ich in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens: Die Fundamentalisten sollen endlich ihre Ideen und Programme offenlegen, nach denen sie das Land zu regieren gedenken. Da sie das nicht tun, vermute ich, sie haben überhaupt keine genauen Vorstellungen und Ziele. Allein darüber, wer ein Volk leiten soll, gibt es im Koran keine klare Aussage.
Zweitens: In der Politik gibt es kein absolutes halal oder haram, kein absolutes Richtig oder Falsch wie im Glauben. In der idealisierten Vorstellung von der Religion gibt es keine Fehler. Die reale Politik ist jedoch etwas anderes, hier gibt es Fehler und Irrtümer.
Drittens: Die Einheit eines Landes, wo Moslems mit Kopten zusammenleben, wäre durch die Einführung eines rein islamischen Staatsrechts gestört, die Christen würden Bürger zweiter Wahl, die vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen wären.
Viertens: Die menschliche Geschichte beweist, daß die Trennung von Religion und Politik langfristig am besten für alle Menschen ist. Das Argument, daß die Idee der Säkularisation aus dem Westen stammt, zählt bei mir nicht. Denn was heißt schon Westen oder Osten. Wir leben heute in einer Zivilisation, an der alle Länder der Welt teilhaben. Wie das Gegenteil eines säkularen Staates aussieht, wird am abschreckenden Beispiel des Iran deutlich.
PAPYRUS: Die andere Seite argumentiert bei ihrem Ruf nach der religiösen Führerschaft, daß die weltlichen Herrscher die sich ständig verschlechternde ökonomische Situation nicht in den Griff bekommen haben, weshalb nunmehr der Zeitpunkt für einen Herrschaftsversuch durch religiös legitimierte Kräfte gekommen sei.
Dr.F.Foda: In Ägypten wurde schon alles mögliche versucht. Wir haben den Marxismus gehabt und dann den Kapitalismus. Der Islam hat 1.000 Jahre Zeit gehabt, seine Vorstellungen zu verwirklichen und ist offensichtlich gescheitert.
PAPYRUS: Die Vertreter der religiösen Seite berufen sich in ihren Argumenten auf Koran und Sunna, sie sagen, Gott ist bei ihnen. Warum leiten Sie Ihre Argumente nicht ebenfalls aus der religiösen Tradition ab?
Dr.F.Foda: Ich mache nicht den Fehler, mich auf religiöse Spitzfindigkeiten einzulassen. Ich berufe mich auf keine bestimmten Texte, sondern allgemein auf den Geist des Islam.
PAPYRUS: Damit fordern Sie die Angriffe der Ichwan richtiggehend heraus. Sie haben ja keinen wirklichen Beweis.
Dr.F.Foda: Aber auf dieser Grundlage können wir doch nicht über Politik sprechen. Wir haben doch Mubarak nicht zum Staatspräsidenten gemacht, weil er der eifrigste Beter oder der beste Muslim ist. In Wirklichkeit sind wir kein islamischer Staat, sondern ein ägyptischer Staat.
PAPYRUS: Sie glauben also davor warnen zu müssen, daß sich der heutige Staat Ägypten in einen vollen islamischen Staat verwandeln könnte?
Dr.F.Foda: Ein Fehler der Regierung ist es, daß sie sich in ihrer Argumentation zu sehr der Diktion der Gegner bedient. Die Regierung sagt: Wir sind religiös. Aber gleichzeitig schiebt man aus Vorsicht eine klare Deklaration auf die lange Bank. Nein, wir sind kein islamischer Staat.
PAPYRUS: Wer sind Ihre Mitstreiter im Kampf gegen die Fundamentalisten?
Dr.F.Foda: Alle aufgeschlossenen und liberalen Bürger.
PAPYRUS: Wie sehen Sie Ihre Chancen bei der Jugend und bei den Studenten?
Dr.F.Foda: Ehrlich gesagt, ich habe nur geringe Möglichkeiten, die Jugend zu erreichen, während die andere Seite über eigene Medien und einen starken finanziellen Rückhalt verfügt. 1975, als ich die Universität verlassen habe, gab es kaum traditionell gekleidete Studenten und verschleierte Mädchen, heute findet man sie in allen Bereichen des Lebens.
PAPYRUS: Worin sehen Sie den Grund für dieses Zurück in die Vergangenheit?
Dr.F.Foda: Einmal in der großen Depression nach der Niederlage 1967. Damals begann man, nach einer neuen Identität zu suchen und man glaubte, sie in einem veralteten Islamverständnis gefunden zu haben.
PAPYRUS: Den Ruf "Zurück zu den Wurzeln!" findet man heute auch in anderen Kulturen und Weltgegenden. Gibt es einen Unterschied zwischen diesen Bewegungen und den islamischen Renaissance-Bestrebungen?
Dr.F.Foda: Wir haben für vieles nicht kämpfen müssen. Europa hat lange für die Säkularisation und die Demokratie gekämpft. Wir müssen heute dafür bezahlen, daß wir nationale Unabhängigkeit, Demokratie und andere Errungenschaften der modernen Zivilisation fast kampflos bekommen haben. Nun heißt es, für die Zukunft zu kämpfen.
PAPYRUS: Sehen Sie irgendwo Kompromisse für die derzeitige Situation?
Dr.F.Foda: Die Ausschau nach Kompromissen ist verantwortlich für den derzeitigen Zustand. Es gibt keinen Kompromiß zwischen Einführung der Scharia und deren Ablehnung.
PAPYRUS: Glauben Sie, daß es zu einer politischen Konfrontation kommen wird?
Dr.F.Foda: Sicher, denn die religiösen Parteien sollen ihre eigenen Parteien haben. Dann müssen sie sich mit den wirklichen politischen Problemen beschäftigen und können zeigen, ob sie im Recht sind. Die Konfrontation sollte aber auf der Ebene der demokratischen Konkurrenz stattfinden, als Wettbewerb verschiedener Meinungen, nicht als Kampf um religiöse Aussagen. Ich habe allerdings den Eindruck, daß die Fundamentalisten das nicht wollen. Außerdem scheuen sie die eigene Konkurrenz. Es gibt keine einheitliche fundamentalistische Bewegung. Angeblich gibt es jetzt um die 36 Gruppierungen. Wären sie aber eine Einheit, wäre dies das Ende des jetzigen Ägypten.
PAPYRUS: Ist das kein Widerspruch: Sie fordern einerseits die Trennung von Religion und Politik, andererseits die Zulassung von Parteien, die aus religiösen Gruppen bestehen. Wären damit diese Gruppierungen nicht Teil des politischen Systems?
Dr.F.Foda: Sicherlich, aber dagegen habe ich nichts einzuwenden. Ich akzeptiere nur nicht, daß das Land durch religiöse Gesetze regiert wird. Ich glaube, daß sich Religion und Politik nicht mischen lassen, die Fundamentalisten sind der gegenteiligen Meinung. Mit der Gründung von Parteien können sie ihre Meinungen unter Beweis stellen, und zwar auf demokratischem Wege.
PAPYRUS: Das heißt also, Sie wollen die Fundamentalisten ins Licht der politischen Öffentlichkeit bringen?
Dr.F.Foda: Ja, denn es ist gefährlich, wenn sie sich als religiöse Gruppe verbergen. Ihr Ziel ist nämlich nicht das Paradies, sondern die Macht. Ich will mit ihnen über Politik diskutieren, nicht über Religion. Macht ist für mich ein politischer Aspekt und kein religiöser. Die Zukunft für die neue Generation liegt darin, Ägypter zu sein und nicht Moslem. Ich wünsche mir, daß Religion eine persönliche Sache jedes Menschen bleibt und nicht zu einer Angelegenheit der Öffentlichkeit und des Staates wird.

Orientalen vor Moschee

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Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil I
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 2/87, pp. 57—59

In unserem letzten Heft haben wir über die Säkularisierungsbestrebungen in Ägypten berichtet (an Hand eines Interviews), und ebenso, in allgemeiner Weise, über das Verhältnis von Staat und islamischer Religion. (Siehe "Säkularisation und Islam – Einführung der Scharia" sowie "Religion und staatliche Ordnung im Islam" –Anm. KFN.)

Im Laufe der vergangenen Wochen sind nun eben diese beiden Themen zu Tagesthemen in der öffentlichen Meinung des Landes und in den Medien geworden, so daß auch wir aus Aktualitätsgründen die Diskussion über die Schlag- und Reizworte "Säkularisation" und "Sharia" weiterverfolgen wollen.

Im Dezember kam es zum ersten Mal zu einem Treffen zwischen Verfechtern der Säkularisation ('Ilmaniya) und Vertretern traditioneller islamischer Kräfte, und zwar in Form eines Seminars, das die Wochenzeitung "al-Liwa al-islami" veranstaltete. Sprecher der Säkularbewegung waren dabei Dr. Wahid Rifaat, Jurist und stellvertretender Vorsitzender der Wafd-Partei, sowie Dr. Farag Fouda, unser Gesprächspartner vom vergangenen Monat. Da die Veröffentlichung dieses Treffens bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe noch nicht vollständig vorlag, behalten wir uns ein Resümee und eventuelle diesbezügliche Ergebnisse für unseren nächsten PAPYRUS vor. (Siehe "Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil II" –Anm. KFN.)

Eine vermittelnde Position zwischen Säkularisten und Sharia-Anhängern nimmt der bekannte muslimische Publizist und Philosoph Khaled Muhammad Khaled ein, der sich gleichfalls vor kurzem zu diesem Thema gemeldet hat (u.a. in den Wochenblättern "an-Nur" und "al-Wafd").

Darüber hat Khaled Muhammad Khaled bereits früher ein Buch unter dem Titel "Verteidigung der Demokratie" geschrieben, in dem er Vergleiche zwischen dem europäischen Begriff der Demokratie und islamischen Staatsideen anstellt. Dabei kommt er zum Schluß, daß die Demokratie durchaus dem islamischen Shura-Prinzip (= Beratung) entspricht, die demzufolge auch von modernen staatlichen Gemeinschaften mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit als staatliche Grundform anzunehmen ist. Die Vorstellung der Demokratie gehöre nämlich "zu den größten Gottesgaben und zu den großartigsten Errungenschaften des Menschen".

Er führt weiters sieben Grundprinzipien an, die sowohl in der islamischen Sharia als auch im westlichen Demokratie-Verständnis verankert sind, nämlich:

  1. Das Volk ist Ausgangspunkt der Machtverhältnisse.
  2. Gewaltentrennung in Legislative, Judikative und Exekutive.
  3. Freie Wahl des Staatsoberhauptes durch alle Bürger.
  4. Vertretung des Volkes durch frei gewählte Abgeordnete (= Parlament).
  5. Notwendigkeit der Etablierung von mehreren politischen Parteien.
  6. Notwendigkeit einer parlamentarischen Opposition.
  7. Einhaltung der Rede, Presse- und Informationsfreiheit.

Diese Prinzipien müssen auch in einem "islamischen Staat" voll zur Geltung kommen, da sie ja, nach Khaled Muhammad Khaled, von der Sharia abgeleitet sind.

Die sieben Punkte haben mittlerweile auch Vertreter von gemäßigten und fundamentalistischen islamischen Gruppierungen als mit dem islamischen Recht vereinbar erklärt, darunter der jetzige Murshid der Ichwan al-Muslimin, Muhammad Hamid Abu Nasr.

Die Forderung nach Einführung der Sharia wird durch diese Annäherung an geläufige westliche Vorstellungen und Formulierungen viel von ihrer Schärfe genommen. Dementsprechend dürfe die Sharia auch nicht mit Gewalt durchgesetzt werden, denn Gewaltakte seien dem Islam eigentlich fremd, was somit selbst ein Verstoß gegen die Sharia wäre. Änderungen auf politischer und sozialer Ebene müßten vielmehr von innen heraus kommen, auf dem Wege des "guten Wortes", der "vernünftigen Anleitung" und des "guten Beispiels". Voraussetzung für die Einführung der Sharia inklusive aller Strafmaßnahmen und Sonderbestimmungen sei die "innere Bereitschaft", die zur Zeit aber noch nicht vorhanden ist. Erst wenn diese innere Voraussetzung gegeben ist, kann man, schreibt Khaled Muhammad Khaled, darangehen, auch die "äußere islamische Lebensführung und Gesetzgebung" formal zu übernehmen.

Kürzlich wurde im islamischen Wochenblatt "an-Nur" (Nr. 252 vom 7. Januar 1987) eine Volksbefragung des "Nationalen Zentrums für Sozial- und Kriminalforschung" über die Einführung der Sharia veröffentlicht. Die detaillierte Auswertung der Umfrage ist auch in Buchform erschienen (auf 340 Seiten), jedoch – nach Mitteilung der Zeitung – aus unerfindlichen Gründen nicht in den Vertrieb und Buchhandel gelangt.

Die Volksbefragung wurde in zwei Teilen durchgeführt. Der erste Teil betraf die Durchschnittsbevölkerung in Ägypten, wobei sich die enorm hohe Befürwortungsquote von 96% ergab.
Der zweite Teil der Umfrage umfaßte die "Intelligenz" des Landes. Diese gesonderte Meinungserhebung scheint für unser Thema signifikanter zu sein, weshalb wir hier näher darauf eingehen wollen. Vorauszuschicken ist, daß Fragestellung, Auswahlkriterien und sonstige Umstände zweifellos eine Beantwortung im Sinne der Sharia-Anhänger nahelegten.
Nur 10% der Befragten waren Frauen, in etwa ebenso groß war auch der Anteil der Christen.
Die überwiegende Mehrheit der Befragten war über 40 Jahre alt (71%). Die Befragten rekrutierten sich aus hohen Positionen in Ministerien, öffentlichen Ämtern, Universitäten, Gerichten, sowie aus islamischen und koptischen Institutionen. 50% waren Universitätsabsolventen, 43% darüber hinaus Vollakademiker (Magister- oder Doktoratsstudien), 7% hatten Abiturniveau.

Und nun zu den Ergebnissen der Umfrage:
  • 88% der Befragten sprachen sich für die Einführung der Sharia aus.
  • Von den Muslimen waren 91% dafür, von den Kopten immerhin 65%.
Die Pro-Rate, geordnet nach Berufsgruppierungen, sieht folgendermaßen aus:
  • 90% der Politiker und Angestellten im öffentlichen Dienst
  • 88% der Juristen, Gerichtsbeamten, Universitätsprofessoren, Journalisten und Sicherheitskräfte
  • 100% der Ulama und
  • 38% der führenden christlichen Persönlichkeiten.
Die Befürwortungsquote der Frauen (75%) lag deutlich unter derjenigen der Männer.
Von den Befürwortern wurden folgende Gründe für ihre Meinung angegeben:
  • 41% halten die Sharia für das Gesetz Gottes, das dem Wohle der Menschen dient. 18% sehen darin eine Abschreckung vor kriminellen Taten. 12% sind der Auffassung, die Sharia könne eine Verbesserung der Gesellschaft herbeiführen und 7% erwähnten die abschreckende Wirkung der von der Sharia angedrohten Strafen an erster Stelle.
  • Unter den Befürwortern sprachen sich 42% (15% der Kopten) für die sofortige Einführung der Sharia aus, während 58% (85% der Kopten) für eine schrittweise Einführung plädierten.
  • 55% der Befürworter (13% der Kopten) sind für die Sharia als alleinige Rechtsquelle des Staates, 45% (87% der Kopten) wollen den Fortbestand bewährter und geltender Gesetze neben der Sharia.
  • Von den Befürwortern forderten 87% die Einführung sämtlicher Strafbestimmungen der Sharia, 12% halten die teilweise Inkraftsetzung des islamischen Strafrechts für sinnvoller.
  • Folgende Vergehen sollten nach Meinung der Befürworter am ehesten nach der Sharia bestraft werden: Ehebruch (77%), Raub (65%), Diebstahl (45%), Abfall vom Islam (43%), Genuß von Rauschmitteln (16%).
  • 87% der Befürworter fordern die Gültigkeit der Sharia für alle Menschen in Ägypten (62% der Kopten), 12% halten die Geltung nur für die Muslime als ausreichend.
Diejenigen Befragten, welche die Sharia für alle Bevölkerungsgruppen anwenden wollen, gaben als Begründung an:
  • In Ägypten gibt es nur eine Gesellschaft (36%)
  • Ägypten ist ein islamisches Land (26%)
  • die Grundgesetze der monotheistischen Religionen sind gleich (18%)
  • es darf keinen Vorzug von Christen oder Muslimen vor dem Gesetz geben (8%).
Als Vorzüge der Sharia wurden von den Befürwortern folgende Punkte genannt:
  • Senkung der Kriminalitätsrate (31%)
  • Herstellung von Ruhe und Ordnung (23%)
  • Sicherheitsgarantie für alle Bürger (12%)
  • Neuverwurzelung religiöser Grundsätze (9%)
  • Verbesserung der Gesellschaft (9%)
  • Herstellung der sozialen Gerechtigkeit (8%)
  • Abschreckung für potentielle Straftäter (5%)
74% der Befürworter sehen keinerlei Nachteile für die Einführung der Sharia. Eine Minderheit fürchtet jedoch den Mißbrauch der Sharia (7%), den Protest von manchen Bevölkerungsgruppen (6%), das Auftreten von Mängeln bei der Durchführung, die Entstehung von religiösem Fanatismus und die Unmöglichkeit einer schnellen Abänderung (je 3%).

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Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil II
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 3/87, pp. 29—30

Zu den zur Zeit in Ägypten am meisten diskutierten Themen gehören nach wie vor die Einführung der Scharia und die Forderung nach Verankerung des Prinzips der Säkularisation im ägyptischen Staatswesen.
PAPYRUS versucht, diese einander konträren Tendenzen im Auge zu behalten und in laufenden Beiträgen darüber zu berichten. (Siehe "Säkularisation und Islam – Einführung der Scharia" sowie "Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil I" –Anm. KFN.)

Die Kontroverse zwischen den beiden Richtungen scheint sich gegenwärtig zu verstärken, was auch in den hiesigen Medien zum Ausdruck kam.
So meldete sich der fundamentalistische Scheich Abdelhamid Kishk, dem es seit längerem untersagt ist, an öffentlichen Treffen teilzunehmen oder die Freitagspredigt in der Moschee zu halten, zu diesen Themen zu Wort (u.a. im Wochenblatt "an-Nur", Nr. 253 vom 14. Januar 1987).

Scheich Kishk ruft zur baldigen Einführung der Scharia auf, denn die heutige Gesellschaft sei krank und entbehre einer wirksamen Therapie. Die beste Medizin für die Gesellschaft kann aber nur das Gesetz Gottes (šar' Allâh) sein. Die Hindernisse für die Anwendung der Scharia in Ägypten seien gering, da nach Meinung der breiten Öffentlichkeit die Scharia ein besseres Leben für alle Bevölkerungsgruppen garantieren wird. Auch Christen würden ein besseres Leben im Schutz der Scharia genießen.

Die Anwendung der Scharia darf jedoch nicht mit gewaltsamen Maßnahmen erzwungen werden. Das gleiche gilt für die Frage um die Einsetzung der rechtgeleiteten islamischen Herrschaft (qiyâda islâmîya rašîda). Die allgemeine Mäßigung dürfe nur für den Fall überschritten werden, wenn der Unglaube unter den Herrschenden offensichtlich ist und es dafür sichtbare Zeichen Gottes (burhân min Allâh) gibt.

Im allgemeinen lehnt der Islam gewaltsame Methoden ab. Der Kampf soll heute mit modernen Mitteln ausgefochten werden, nämlich in den Medien und in friedlichen Diskussionen, wo in gemäßigter Weise auf die Vorteile der Scharia hingewiesen werden soll.

Um seinen Forderungen Gehör zu verschaffen, ist Abdelhamid Kishk zu einem Treffen mit dem Präsidenten bereit. Überhaupt sei es Pflicht der Ulama, die Herrscher an das Jenseits und an den Tod zu erinnern.

Die neuentstandene säkulare Bewegung in Ägypten sei im Grunde gegen den Islam und seine Lehren gerichtet und ist deshalb abzulehnen.

Um den säkularen Bestrebungen in Ägypten und in anderen Ländern der islamischen Welt Einhalt zu gebieten, propagiert Scheich Kishk die Neuerrichtung des Kalifats (das 1924 von Kemal Atatürk formell abgeschafft worden war) und schlägt die Gründung eines islamischen Staatenbundes vor. Dieser Staatenbund soll nach dem Muster der USA den Namen "Vereinigte Islamische Staaten" tragen (al-wilâyât al-islâmîya al-muttahida).

Der neue Mufti von Ägypten, Scheich Muhammad Sayyed Tantawi, erklärte in einem Interview mit der Tageszeitung "Al-Ahram" (vom 11. Januar 1987), daß die Vorbereitungen hinsichtlich der Einführung der Scharia zu seinen wichtigsten Amtsgeschäften gehöre. Allerdings gab er keine näheren Details bekannt und ließ sich auch auf keinen Zeitplan festlegen.

Der Führer (muršid 'âmm) der Muslimbrüder, Muhammad Hamid Abu Nasr, wies ebenfalls auf die Dringlichkeit der Einführung der Scharia hin (in der Zeitschrift "al-Umma al-Islamiya" vom Januar bzw. Februar 1987). Diese Forderung stelle das vorläufige Hauptziel der "Ichwan al-Muslimin" dar. Um ihren Wünschen auf politischer Ebene Nachdruck zu verleihen, plane man derzeit die Gründung einer eigenen politischen Partei, die vermutlich "Shura" heißen wird.

Abu Nasr tritt für die Kooperation mit allen islamischen Kräften, darunter auch mit den Sufi-Orden ein, die das gleiche Ziel und den gleichen Ursprung hätten.

Um eine Veränderung der gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse zu erreichen, dürfe keine Gewalt angewendet werden. Sollten die Muslimbrüder irgendwann einmal in Herrschaftspositionen gelangen, dann würde man auch Andersgläubige, vor allem die Kopten, zur Mitarbeit einladen und ihnen einen Anteil an der Macht und in der Verwaltung zugestehen.

In einem Grundsatzartikel in der Zeitschrift "Al-Azhar" (Februar 1987) nahm der Azhar-Professor Fawzy Muhammad Tayel zum Thema Säkularismus aus islamischer Sicht Stellung.
Darin schreibt er, daß es sich dabei um eine agnostische, anti-christliche und atheistische Bewegung handle, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von England aus in ganz Europa verbreitet wurde. Zum Wesen der Säkularität gehöre die Ablehnung jeglicher Religion und jeglicher Gottesverehrung. Die Bewegung sei aus dem Bedürfnis heraus entstanden, den Konflikt zwischen der zivilen Autorität des Staates und der religiösen Machtansprüche der Kirche in Europa zu lösen. Dementsprechend sei die Geistesrichtung in erster Linie dazu prädestiniert, die politischen, sozialen und philosophischen Probleme der christlichen Länder zu lösen. Eines der diesbezüglichen Resultate sei die Garantie der Freiheitsrechte für alle Bürger, ungeachtet ihres religiösen Bekenntnisses, gewesen.

Demgegenüber vertritt der Islam die Auffassung, daß religiöse und profane Lebensbereiche dicht beisammen liegen und deshalb nicht getrennt werden könnten. In den islamischen Ländern habe es keinerlei Konflikte zwischen der staatlichen Autorität und den religiösen Institutionen gegeben. Beide Autoritäten seien vielmehr in einem einheitlichen System integriert gewesen, weshalb der Säkularismus überflüssig sei.

Der Säkularismus ist so wie die Systeme des Kapitalismus, des Kommunismus usw. ein von Menschen erdachtes Gedankengebäude. Diese Bewegung kann daher nicht in Relation zur göttlichen Ordnung gesetzt werden, als deren letzter Ausdruck der Islam anzusehen ist.

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Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil III
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 4/87, pp. 46—48

Der Ruf nach Einhaltung säkularer staatlicher Prinzipien auf der einen und die Forderung nach Einführung der Scharia auf der anderen Seite bestimmten in den vergangenen Wochen und Monaten die Diskussionen in der breiten ägyptischen Öffentlichkeit.

Unter anderem kam es zu einer ersten intellektuellen Konfrontation zwischen den Vertretern beider Richtungen, die in der Folge im islamischen NDP-Organ "al-Liwa al-islami" sukzessive abgedruckt wurde (Nummern 256—261). Als Vertreter der säkularistischen Bewegung fungierten dabei Dr. Farag Fouda (siehe "Säkularisation und Islam – Einführung der Scharia" –Anm. KFN.) und Dr. Wahid Rifaat, der stellvertretende Vorsitzende der "Neuen Wafd-Partei". Die bekannten Schriftsteller und Publizisten Youssef Idris und Zaki Naguib Mahmoud, die ebenfalls als Anhänger des Säkularismus gelten, lehnten eine Teilnahme an diesem Seminar ab.

Sprecher für die islamische Gegenpartei waren neben anderen Dr. Ahmad Omar Hashem, Professor an der Azhar-Universität, und Dr. Gamal Ed-Din Mahmoud, ehemaliger Generalsekretär des "Hohen Rats für Islamische Angelegenheiten".
Nachstehend die Hauptpunkte der Diskussion:

Ansichten der Säkularisierungsanhänger
  • Das Prinzip der Säkularisierung ist nicht gegen den Islam gerichtet. Nach islamischer Auffassung sei nichts gegen die Anwendung von Gesetzen und Maßnahmen einzuwenden, die dem Besten der Gemeinschaft dienen. Der Islam wird in seiner universalen religiösen Botschaft für die Menschen nicht angetastet.
  • Heute gibt es keinen einheitlichen Islam mehr, sondern viele unterschiedliche Ausprägungen des Islams in den verschiedenen islamischen Ländern. So ist der Islam in Ägypten durch lokale Eigenheiten wie Heiligenverehrung, Sufismus und pharaonische Einflüsse geprägt.
  • Die Trennung von Staat und Religion, das Postulat der säkularen Vorkämpfer im Westen, kann in Ägypten nicht verwirklicht werden. Für Ägypten ist vielmehr die Trennung von Politik und Religion anzustreben.
  • Die Scharia ist zwar die Hauptquelle der Gesetzgebung in Ägypten (Artikel 2 der Verfassung), aber nicht die einzige Quelle der Rechtsfindung. Ein überwiegender Teil der gegenwärtigen ägyptischen Gesetze ist ohnehin mit der Scharia konform.
  • Die säkulare Bewegung darf nicht als atheistische Bewegung mißverstanden werden, nur weil sie einen Teilaspekt von angeblich religiösen Vorstellungen ablehnt, vor allem die Idee einer religiösen Herrschaft. Diese Idee läßt sich nur schwach auf den Koran zurückführen; deshalb könne man nicht von einem Herrschaftssystem im Islam sprechen.
  • Im Koran sind allgemeine religiöse und moralische Prinzipien verankert, die aber keine Gesetzgebung im eigentlichen Sinn darstellen. Die Einzelheiten und Anwendungsbestimmungen bleiben vielmehr den Menschen überlassen. Die koranischen Lehren wurden erst durch die Sunna des Propheten und die Lehrmeinung bzw. die praktischen Richtlinien der Gelehrten (= Iğtihâd) vervollkommnet.
  • Der Islam ist über viele Dinge, die man dieser Religion zuschreibt, erhaben. Gott war gnädig mit den Menschen, indem er ihnen keine Regeln vorschrieb, welche die Zeiten ändern würden.
  • Das Strafrecht des Islams muß den heutigen Erfordernissen angepaßt sein. Das betrifft vor allem die Hadd-Strafen. Der Kalif Omar hatte für kurze Zeit diese koranischen Hadd-Strafen aufgrund der Zeitumstände außer Kraft gesetzt. Warum soll man heute nicht ähnlich verfahren und beispielsweise die Strafe für Ehebruch aussetzen? Dies aufgrund der geänderten sozialen Lage, da die Regierung jungen Leuten keine Wohnungen zur Verfügung stellen kann, in denen sie als Eheleute zusammenleben können. Was Omar machte, war Iğtihâd, dasselbe kann auch heutzutage geschehen.
  • Die Säkularisierung des Staates garantiert eine umfassende demokratische Freiheit für alle Volksgruppen ungeachtet ihres Stands, ihrer Herkunft, ihrer Religion usw. Diese Freiheit gilt auch für sämtliche religiöse Gruppierungen, denen das Recht zugestanden wird, auf der Basis des Rechtsstaats ihre politischen Ansichten zu formulieren.
Demgegenüber vertreten die Anhänger der Scharia folgende Ansichten:
  • Die Vorschriften des Islam sind ewige Gesetze, die immer und an jedem Ort gelten. Die Scharia ist durch göttliche Eingebung geoffenbart worden; sie kennt daher keine Mängel – im Gegensatz zu allen menschlichen Theorien und Systemen. Es gibt klare Gesetze im Islam, die nicht Iğtihâd sind.
  • Der Islam ist nicht an die Moschee gebunden, sondern umfaßt sämtliche Lebensbereiche des Menschen. Der Islam ist sowohl Religion, als auch soziales und politisches System. Nach dem ägyptischen Reformer Muhammad Abduh ist jede Frage im Koran gelöst. Im äußersten Notfall gilt der Vers: "Fragt die Leute des göttlichen Wissens (ahl ad-dikr), wenn ihr etwas nicht wißt."
  • Der Säkularismus ist die Anleitung zu religiöser Gleichgültigkeit. Die säkulare Bewegung ist ein Produkt des Machtkampfes zwischen Kirche und Staat in Europa; im islamischen Bereich sind die Verhältnisse anders. Es geht nicht an, daß der Staat das erlaubt, was Gott verbietet (z.B. den Ehebruch). Die Folgen für die westliche Gesellschaft ist die Ausbreitung von AIDS und anderen Krankheiten.
  • Die Muslime nehmen ihre Religion nur von Gott entgegen. Alle sozialen Gebote und Forderungen, die zum Besten der Gesellschaft sind, haben ihre Grundlage in der islamischen Überlieferung. Der Islam ist eine Religion des Fortschritts und nicht des Rückschritts. Sämtliche humanitären Prinzipien der Jetztzeit finden ihre Entsprechung in den islamischen Lehren.
  • Man kann die Religion in Ägypten weder vom Staat noch von der Politik trennen. Das geht aus Artikel 2 der Verfassung hervor, wonach die Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung ist.
  • Die Forderung nach einem islamischen Staat ist nicht gleichbedeutend mit der Etablierung einer religiösen Regierung oder einer "Herrschaft der Scheichs". Es gibt keine religiöse Herrschaft im Islam, so wie es keine Priesterklasse im Islam gibt. Auch nach der Einführung der Scharia wird sich nicht viel ändern, da heute bereits 95% aller Gesetze der Scharia entsprechen.
  • Der Herrscher in einem islamischen Staat ist ein gewöhnlicher Sterblicher, der sich irren kann, und der dafür zur Verantwortung gezogen werden muß. Kriterium der Herrschaft sind die unveränderlichen Grundlagen des Islams, nämlich Koran und Sunna. Jeder, der sich der Macht bedient, um selbstsüchtige Ziele zu verfolgen, unterliegt der Rechenschaft vor Gott.
  • Heute gibt es nirgends einen islamischen Staat, auch nicht im Iran, aber es gibt einen religiösen christlichen Staat, nämlich den Vatikan.
  • In Ägypten gab es bis jetzt alle möglichen Herrschafts- und Sozialsysteme, wie den Feudalismus, Sozialismus, Kapitalismus u.a. Warum gibt man nicht einmal der Religion eine Chance, wo doch die große Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung islamisch ist?
  • Es ist das Recht der Mehrheit in den islamischen Ländern, daß die Scharia eingeführt wird.
  • Das zu Unrecht gefürchtete islamische Strafrecht verfolgt den Zweck, die soziale Gerechtigkeit herzustellen. Die Hadd-Sanktionen sind nur beim Vorliegen von 15 Bedingungen möglich, was deren Anwendung auf wenige Ausnahmefälle beschränkt. Zur Zeit des Propheten und der ersten Kalifen, d.h. im Zeitraum von 30 Jahren, wurde nur viermal die Hadd-Strafe bei Diebstahl und dreimal bei Ehebruch verhängt. Hadd-Strafen sind die gerechteste Form der Strafe überhaupt. Sie sind eher zur Abschreckung gedacht als zur Anwendung und sind gnädiger, als die in den gegenwärtigen Gesetzen geforderten Strafsanktionen. Körperstrafen sind wirksamer als Zeitstrafen; das beweisen moderne Untersuchungen: So beträgt die Rückfallquote von Personen, die einmal im Gefängnis waren, in Ägypten 56%, in Saudi-Arabien hingegen ist der Diebstahl als kriminelles Delikt aufgrund der Abschreckung verschwunden.
  • Es gibt nur einen Islam, die essentielle Lehre ist in allen islamischen Ländern gleich. Der Islam darf nicht an Außenseitergruppen gemessen werden. Terror und Gewalt sind heute weltweite Erscheinungen, die in keinem Zusammenhang mit dem Islam stehen.

Wie aus der obigen Zusammenfassung der Diskussion zwischen Säkularisierungsvertretern und ihren Gegnern hervorgeht, gab es kaum gemeinsame Anhaltspunkte oder gar Kompromisse. Auch in nächster Zukunft dürfte sich keine Kompromißbereitschaft in dieser Hinsicht abzeichnen.

Das lassen die Reaktionen in der ägyptischen Presse auf diese Begegnung vermuten. In teilweise sehr polemischen Artikeln meldeten sich mehrere muslimische Persönlichkeiten wie Scheich Shaarawi, Scheich Muhammad Al-Ghazzali, Dr. Tayyeb An-Naggar u.a. zu Wort, die jeweils Säkularisierungstendenzen rundweg ablehnen. (Siehe "Nachlese zu Säkularisation und Scharia – Teil II" –Anm. KFN.)

Die Anhänger der säkularen Richtung haben sich demgegenüber kaum geäußert. Die von Dr. Farag Fouda angekündigte Stellungnahme in der "Liwa al islami" ist bis dato (bis zum Redaktionsschluß dieser PAPYRUS-Ausgabe) nicht erschienen.

Auch das in der März-Nummer der Zeitschrift "At-Tasawwuf al-islami" publizierte Diskussionsseminar über die Säkularisation brachte im wesentlichen nicht Neues.

Das Schlagwort von der Einführung der Scharia ist schließlich in den vergangenen Wochen zum Wahlkampfthema geworden. So haben sich die Muslimbrüder mit der Ahrar- und Umma-Partei zu einer gemeinsamen Wahlliste zusammengeschlossen, um dadurch der Hauptforderung nach lückenloser Einführung der Scharia Nachdruck zu verleihen.

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