Alltagsleben – einheimisch
    Inhalt:
    Keine Wohnung – keine Hochzeit
    Auf Wohnungssuche – Tagebuchauszüge in drei Akten
    Essen, singen und tanzen – eine Studie über Moslem-Hochzeiten in Kairo
    Perspektiven im Ausland?
    Teehäuser
    Wie wohnen die Fellachen?
    Kamelmarkt in Imbaba

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Keine Wohnung – keine Hochzeit
von Dalia Samra

Papyrus-Logo Nr. 1—2/93, pp. 46—47

Heiraten in einer großen Wohnung, möglichst mit Nilblick, davon redet nur die obere Schicht der ägyptischen Gesellschaft. Der andere Teil der männlichen Bevölkerung ist dem Druck der Gesellschaft ausgesetzt, vor der Hochzeit eine Wohnung vorzuweisen, wo er mit seiner zukünftigen Frau leben kann. Doch meist ist dies ein sehr großes Problem, das schon in einigen Fällen zum Selbstmord geführt hat.

In Familien mit gutem finanziellen Status wird für den Sohn schon viele Jahre vor der Hochzeit eine Wohnung gekauft, die zum gekommenen Zeitpunkt dann sofort bezogen werden kann. Das Wohnungsproblem steht also hier der Hochzeit nicht im Wege. "Meine Eltern haben mir schon vor langer Zeit eine Wohnung gekauft", sagt Mohamed Salem, Steward und unverheiratet. "Eine Wohnung ist die wichtigste Voraussetzung für eine Hochzeit", fügt der 26jährige hinzu.
Doch in vielen Familien sind diese finanziellen Möglichkeiten nicht gegeben, und der Sohn muß mit eigenen Ersparnissen versuchen, eine günstige Wohnung zu bekommenen Die Eltern versuchen, trotz oft ärmlicher Verhältnisse, den Sohn dabei zu unterstützen.

"Viele junge Leute warten auf die Gelegenheit, einen Job in den Golfländern oder bei einer ausländischen Firma zu bekommen, wo man ein höheres Gehalt verdient", sagt Saad Eddin Ibrahim, Anthropologe und Professor an der Amerikanischen Universität. "Viele Leute verloben sich, und die Beziehung geht aufgrund der Wohnungsprobleme auseinander."
Auf Selbstmord als einzigen Ausweg aus dem Wohnungs- und Heiratsproblem angesprochen meint er, daß es diese Fälle in Ägypten zwar gäbe, sie seien jedoch nicht häufig.

In vielen Fällen, besonders in der traditionellen Gesellschaft, zieht das jungverheiratete Ehepaar zur Familie des Mannes, da es keinen anderen Ausweg gibt.
"Ich hätte meinen Mann nicht geheiratet, wenn er keine Wohnung gehabt hätte", sagt Manal Ibrahim Ali, eine Reinmachefrau. Sie meint, daß es mehrere Möglichkeiten gebe, eine Wohnung zu finanzieren. "In Außenbezirken von Kairo, wie z.B. El Salam City, kann man durch Vorlegen der Heiratsurkunde und 2.000 LE an eine Wohnung kommen."

Eine andere Möglichkeit, sagt sie, sei die "Gamiya". Eine Gruppe von Leuten sammelt von allen Mitgliedern z.B. 50 LE monatlich. Zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt wird der Pool gebrochen und abwechselnd bekommt eine Person den ganzen Schub, z.B. 1.000 LE, der für solch einen Wohnungszweck verwendet werden kann.

Salah Amin Ramadan ist Hausmeister in Heliopolis und kommt ursprünglich vom Lande. "Nach der Hochzeit habe ich 4½ Jahre mit meiner Frau bei meinen Eltern gelebt", erzählt Ramadan. "Danach kamen wir in die Stadt, um mehr Geld zu verdienen", fügt er hinzu. Ramadan plant jetzt schon, für seinen 3jährigen Sohn ein Haus auf dem Lande zu bauen, damit dieser keine Probleme bei der Heiratsfrage hat. "Ich verdiene ca. 150 LE im Monat, und wir versuchen, 30—40 LE zu sparen, um ein Haus auf dem Stück Land meines Vaters zu bauen." Sein Haus soll zwei Zimmer, ein Badezimmer und einen Wohnraum haben, auf einer Gesamtfläche von 120 Quadratmetern. Ramadan weiß auch, "das ist der Wunsch aller Hausmeister – ein Haus für uns und unsere Kinder."

Wenn bei einer geplanten Eheschließung nur die Frau eine Wohnung vorweisen kann, wird die Trauung von der Familie der Frau meist nicht gestattet, da diese somit in eine finanziell schlechtere Gesellschaft einheiraten würde.

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Auf Wohnungssuche – Tagebuchauszüge in drei Akten
von Rudolf Bamberger

Papyrus-Logo Nr. 2/86, pp. 33—36

Verfasser: Mohamed, 26 Jahre, Verwaltungsangestellter,
wohnhaft bei seiner Mutter in Embaba, später in 15. Mai-Stadt / Helwan.

Die Tagebuchauszüge entsprechen dem Leben. Namen und Ortsangaben sind erfunden.

1. Akt: Auf der Suche

5. Februar
Der Familienrat hat beschlossen, daß wir heiraten können, wenn ich eine Wohnung gefunden und eingerichtet habe.

7. Februar
Alle Papiere zusammen zu bekommen ist sehr schwer. Vor allem die Bestätigung, daß keine andere Wohnung vorhanden ist, fehlt mir noch.

11. Februar
Heute war ich bei der Wohnungsvermittlungsstelle des Wohnungsbauministeriums. Ich muß einen Antrag stellen, den ich bei der für Wohnungsbauvorhaben zuständigen staatlichen Bank bekomme.

12. Februar
Der Antrag kostet LE 20 und noch ein paar Pfunde extra für die Stempelmarken. Ich habe in einer langen Schlange gewartet. Wenn die Leute alle eine Wohnung wollen, sehe ich schwarz.

15. Februar
Antrag heute abgegeben. Ich habe Pläne einsehen können, wie die künftigen Wohnungen gestaltet werden können. Es werden Wohnungen zwischen 70 m² und 140 m² gebaut. Als Kaufpreis hat man mir die Summen zwischen LE 11.000 und LE 20.000 je nach Größe und Ausstattung genannt. Ich soll in einem Monat nachfragen.

10. März
Der Beamte war nicht gerade freundlich. Er habe mir doch gesagt, daß ich nach einem Monat nachfragen solle. Heute sei erst der 10. März.

16. März
Nichts, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. "Kommen Sie wieder." Die Fahrt zu dem Amt kostet mich jedesmal einen halben Arbeitstag. Ich arbeite in Mohandessin. Das Amt liegt in Nasr City.

16. April
Nichts Neues. "Warten Sie noch ein Weilchen." Soll ich schon die Möbel bestellen? Ich kenne da eine Firma in Domiat. Aber wieviel Zimmer brauchen wir denn?

16. Mai
Der Beamte hat gewechselt. Der Neue weiß nichts von meinem Antrag. Ich soll im nächsten Monat wiederkommen.

17. Juni
Es tue ihm sehr leid. Warum wir denn nicht "modern geheiratet" hätten? Solche Ehepaare hätten eher eine Chance, eine Wohnung zu bekommen.

16. Juli
Der erste Beamte ist wieder da. Er ist verwundert, daß ich immer noch komme. Er hat meinen Antrag weggelegt, weil er glaubte, ich sei nicht mehr interessiert.

12. August
Heute kam ein Brief von der Wohnungsbaubehörde. Das sei sicher die Zuteilung, hat die Mutter gemeint. Es war die freundliche Absage, verbunden mit dem Hinweis, es bei nächster Gelegenheit nochmals zu versuchen. Wie sagt man doch bei uns: malesch.

15. August
Familienrat. Wir müssen einen anderen Weg finden. Ich habe einen Freund, der auf dem privatem Markt gesucht hat. Ihn werde ich fragen.

16. August
Heschmat hat mir von seiner Suche erzählt. In Zeitungsanzeigen werden nur möblierte Wohnungen oder Eigentumswohnungen angeboten. Sie sind sehr teuer. Also ist er zu einem Wohnungsmakler gegangen. Mit ihm ist er viel unterwegs gewesen. Jeder Besuch hat LE 10 gekostet. Er hat seinen Urlaub nehmen müssen. Nach drei Wochen hat er eine Wohnung gefunden. Der Vermieter wollte als Anzahlung sofort LE 5.000.

20. August
Meine Tante und künftige Schwiegermutter hat eine Idee. In Heluan, wo sie arbeitet, werden für die Mitarbeiter der dort ansässigen Firmen Wohnungen gebaut. Wenn sie eine Wohnung kauft, dann...

 

2. AKT: Gefunden

5. September
Die Tante kann eine Wohnung bekommen, aber nur die teuerste. Die billigeren Wohnungen müssen erst noch gebaut werden. Die Wohnung soll LE 17.000 kosten und 130 m² groß sein; 4 Zimmer mit Küche, Bad und Rezeption.

6. September
Wir werden die Wohnung nehmen. Alle Freunde und Verwandten haben uns dringend dazu geraten.

1. Oktober
Die Schwiegermutter hat die Wohnung gekauft. Ich habe das letzte Land verkauft, daß ich von meinem Vater geerbt hatte. Damit konnten wir die Hälfte des Kaufpreises anzahlen.

10. Oktober
Die Wohnung ist fast fertig. Es fehlen nur noch die Fenster und andere Kleinigkeiten. Es gebe zur Zeit kein Fensterglas, hat die Baufirma erklärt.

1. November
Fensterglas ist immer noch nicht gekommen. Es muß etwas geschehen. Der Wind pfeift durch alle Löcher.

15. November
Ich habe versucht, die Fenster abzudichten, damit die Wohnung durch den Staub nicht zu sehr verdreckt. Ein Freund hat mir geraten, mich selbst um das Fensterglas zu kümmern.

18. November
Wer verkauft Fensterglas? Ich habe mindestens 20 Telefongespräche geführt, ohne Erfolg.

20. November
Endlich ein Händler. Er erhält Anfang Dezember eine Glaslieferung. Ich zahle die Hälfte an.

12. Dezember
Das Glas ist da. Wer baut es ein? Wieder auf der Suche.

15. Dezember
Der Glaser kommt morgen. Ich soll zwei Tage frei nehmen, um ihm zu helfen.

17. Dezember
Alle Fenster sind zu. Gott sei Dank ohne Bruch. Ich gebe dem Mann ein gutes Bakschisch.

18. Dezember
Nun kann ich anfangen, die elektrischen Leitungen zu verlegen und Geräte anzuschließen.

23. Dezember
Die Möbelfirma in Domiat hat angerufen. Wir sollen uns entscheiden, was wir wollen. Drei Monate Lieferzeit. Natürlich will man eine Anzahlung und dann den Rest bei Lieferung.

10. Februar
Ich habe mir mit den Installationen Zeit gelassen. Die Möbel kommen erst Ende April.

1. März
Nun zahle ich schon jeden Monat LE 56 an die Bank ab, obwohl wir noch gar nicht in der Wohnung wohnen. Wenn alles gut geht, habe ich nur 20 Jahre lang diese Belastung.

4. April
Die Möbel sollen kommen.

16. April
Der Möbelwagen ist da. Wir laden ab. Da der Zuweg zum Haus und das Treppenhaus noch nicht fertig sind, wird der Transport der Möbel zu einem Balanceakt über Steine und Bauschutt. Aufbauen darf ich selber.

17. April
Alle Möbel sind da. Die Wohnung sieht prima aus. Aber was habe ich dafür hinlegen müssen. Rund LE 11.000 habe ich nur für die Einrichtung ausgegeben.

18. April
Nun könnten wir eigentlich heiraten. Der Familienrat legt den Heiratstermin fest.

 

3. AKT: Im eigenen Heim

1. August
Seit einer Woche haben wir unser eigenes Heim bezogen. Wir fühlen uns wohl. Bislang sind wir die einzigen Bewohner des Hauses, aber in der nächsten Woche kommen Mitbewohner.

4. August
Das Wasser im Badezimmer läuft nicht ab.

5. August
Auf der Suche nach einem Handwerker hat meine Frau den Markt in unserem Stadtviertel gefunden. Dort gibt es alles.

7. August
Ich bin recht müde. Die Wohnung liegt 40 km von meinem Arbeitsplatz. Ich brauche morgens zwei Stunden für die Fahrt mit dem Sammeltaxi und dem Bus. Abends brauche ich mindestens ebenso lang.

8. August
Es gibt kein Wasser.

10. August
Das Wasser ist noch nicht wiedergekommen. Meine Frau wird zu ihrer Mutter ziehen.

12. August
Heute lief das Wasser wieder für eine Stunde. Dafür war der Strom weg.

1. September
Die Straße zu unserem Haus ist noch immer nicht gemacht. Auch der Garten ist noch nicht fertig. Man hat lediglich die Erde angeliefert.

1. Oktober
Sollen wir uns Heizgeräte kaufen? Die Wohnung hat keine Heizung. In sechs Monaten soll Gas verlegt werden. Vielleicht warten wir solange, um dann Gasheizöfen zu kaufen.

10. Oktober
Einen Telefonanschluß können wir auch bald bekommen, jedenfalls gibt es in unserem Viertel nun ein Post- und Fernmeldeamt.

11. November
Eigentlich haben wir Glück gehabt. Wir haben schnell eine Wohnung bekommen. Viele meiner Studienkollegen haben viel länger gewartet.

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Essen, singen und tanzen – eine Studie über Moslem-Hochzeiten in Kairo
von Susanna Hofmann
aufgezeichnet in englischer Sprache für ihre Anthropologie-Klasse,
die sie am Macalester College in St. Paul, Minnesota/USA, belegt hat

Papyrus-Logo Nr. 3—4/95, pp. 4—24

"Wenn Du nicht aus einer guten Familie stammst, dann heirate in eine hinein", sagt schon ein arabisches Sprichwort.

Hochzeiten sind ein Hauptbestandteil des Lebens in Ägypten. Der starke Familiensinn hilft den weniger Privilegierten im täglichen Kampf ums Überleben. Es gibt sehr wenig im Leben des Einzelnen, das nicht in irgendeiner Form mit seiner Familie verbunden oder von den Angehörigen beeinflußt ist. Die Zusammengehörigkeit in der Familie bildet gleichsam ein Netz zur finanziellen und emotionalen Unterstützung, auf die man sich verlassen kann, die aber auch in anderen Fällen in gefährlicher Weise zu dominant werden kann.

Es sollen hier die Traditionen, die mit Hochzeiten in Ägypten verbunden sind, beschrieben werden und ein wenig auch ihr kultureller Kontext – von der Verlobung bis zur tatsächlichen Hochzeit – am Beispiel des gehobenen Kairoer Mittelstandes, aber auch der nach Kairo zugewanderten Landbevölkerung und der Dorfbewohner in der näheren und weiteren Umgebung Kairos.

Bevor ich mich mit diesem Thema beschäftigt hatte, hatte ich darüber gewisse Vorstellungen im Kopf. Eigentlich erwartete ich eindeutige Aussagen über die Notwendigkeit vom Abgehen von Traditionen, Anpassung an die gegenwärtigen Lebensbedingungen u.ä. – und erhielt in der Regel ganz andere Antworten. Die Funktion der Eheschließungen in Ägypten liegt in erster Linie darin, Familien näher aneinander zu binden. Die Familie des neuen Familienmitgliedes wird in den großen Familienverband aufgenommen. Von den Kindern wird erwartet, auch nach ihrer Heirat enge Verbindung zu ihren Eltern zu halten – und das tun sie zumeist. So ist praktisch das Kind nicht verloren, sondern dessen neue Familie kommt zum Familienclan dazu.

Im gehobenen Mittelstand von Kairo ist die Braut üblicherweise im Alter von über 20 Jahren, der Bräutigam im selben Alter oder älter. Die jungen Leute lernen sich vielleicht an ihrem Arbeitsplatz, als Studienkollegen, in einem der beliebten Nadis (den Klubs) oder durch Freunde kennen. Eine der beliebtesten Arten von Eheschließungen ist offenbar immer noch die Heirat innerhalb der Familie unter (mehr oder weniger) entfernt verwandten Cousins.

Wenn sich nun ein junges Mädchen und ein junger Mann getroffen haben, obliegt es dem Mann, seine Absichten klar zu erkennen zu geben. Sobald er sich zu der Feststellung durchgerungen hat, daß er das in Frage kommende Mädchen oder die junge Frau gerne heiraten möchte, hat er die Pflicht, die Sache mit dem Vater des Mädchens oder ihrem Vormund zu besprechen.

Zu diesem Zwecke wird ein Treffen mit dem Vater des Mädchens arrangiert, an dem üblicherweise auch der Vater des jungen Mannes teilnimmt. Dieser erkundigt sich nach dem Charakter des Mädchens, ihrer Persönlichkeit und natürlich auch nach ihrer finanziellen Lage. Schönheit hilft in manchen Fällen, andere Mängel zu verdecken.

Sobald der Vater des jungen Mannes die grundsätzliche Zustimmung zu dieser Eheschließung gegeben hat, wird ein neues Datum festgesetzt, an dem die beiden Väter wieder zusammentreffen. Bei dieser Gelegenheit kommt meist auch die Mutter des Mädchens dazu, und gemeinsam erkunden sie, welche Aussichten der junge Mann hat und was er ihrer Tochter bieten kann. Es ist für fast alle Eltern extrem wichtig, einen passenden Gatten für die Tochter zu finden. Die letzte Entscheidung, ob nun der junge Mann als Gatte akzeptiert wird oder nicht, wird in der Regel dem Mädchen überlassen, wobei allerdings die Familie oft vorher eindeutig klarstellt, wer bevorzugt wird.

Ist nun die junge Frau mit dem Ehekandidaten einverstanden, so treffen sich der Vater der Braut und der Bräutigam erneut, um die finanziellen Möglichkeiten zu besprechen. Der Bräutigam schlägt eine Summe (mahr) vor, die er dem Vater der Braut zahlen wird. Diese Summe wird üblicherweise dazu benutzt, die Mitgift der Braut zu finanzieren. Hat man sich über die Höhe dieses Betrages geeinigt, präsentiert der Bräutigam den Barbetrag in einer speziellen, mit gravierten Metallornamenten verzierten Holzschachtel – ähnlich den Behältern, in denen oft der alte Familienkoran aufbewahrt wird.

Es liegt in der Verantwortung beider Partner, bestimmte Gegenstände in diese Ehe zu bringen. Die Aufteilung erfolgt zumeist nach dem Rollenbild der Geschlechter: vom Bräutigam werden die großen, teuren Sachen erwartet, wie eine Wohnung oder ein Haus, die nötigen Elektrogeräte und Beleuchtungskörper, von der Braut das Mobiliar, Vorhänge und Dekor.

Nachdem nun das Finanzielle erledigt ist, kann mit der Planung der Verlobungsfeier begonnen werden. Dies bleibt der Familie der Braut vorbehalten, die diese Feier auch finanziert. Zuerst muß die Braut entscheiden, wieviel sie für dieses Ereignis ausgeben will, denn dies bestimmt den Ort, an dem die Feier abgehalten werden soll. Verlobungsfeiern werden üblicherweise in Hotels, Klubs, eher selten im Freien, zuhause oder an anderen Orten abgehalten, wo eine Menge Leute essen, singen und tanzen kann, denn das Essen, Singen und Tanzen sind das um und auf.

Sobald der Ort bestimmt ist, wird das Programm festgelegt. In Hotels oder Klubs hat der Manager oder Direktor üblicherweise einige Programme zur Auswahl, gleichsam als package deal. Verlobungsfeiern in Hotels werden – wenn sie auch oft ziemlich kostspielig sind – bevorzugt, da praktisch schon alles vorbereitet ist – es gibt eine Auswahl von Menüs, Listen von Künstlern (Sängern, Bauchtänzerinnen u.ä.) und ihren Preisen, Kontaktadressen von Blumenhändlern und Photographen sowie Informationen über verfügbare Termine. Die Braut braucht also nurmehr ihre Auswahl zu treffen, den Rest erledigt das Hotel. Verlobungsfeiern außer Haus müssen oft bis zu sechs Monate im voraus geplant werden, um sicherzustellen, daß die reservierten Räumlichkeiten, die verpflichteten Unterhaltungskünstler und Photographen auch wirklich zur Verfügung stehen. Bei der Auswahl des Hotels oder des Klubs hat die Familie der Braut die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, was sie sich leisten kann – je mehr Sterne das Hotel hat, umso besser. Summen zwischen 10.000 und 50.000 ägyptische Pfund oder mehr, je nachdem, wie großartig und extravagant die Verlobungsfeier sein soll, sind nicht selten. Auch das Kleid, das die Braut zur Verlobung trägt, ist sehr wichtig – und wer etwas auf sich hält, sollte es schon von einem angesehenen Schneider anfertigen lassen oder zumindest in einer bekannten Boutique kaufen. Hierfür muß man mit Preisen von 4.000 bis 12.000 LE oder mehr rechnen.

Der Bräutigam wird bei der Vorbereitung dieser Party höchst selten gefragt, wenngleich seine Familie die Braut oft bei den Vorbereitung der Verlobungsfeier begleitet, einfach um sicherzustellen, daß die Feier auch ihrem Geschmack entspricht. Eine junge Frau erzählte mir, daß sie und ihr Verlobter ursprünglich daran dachten, für die Verlobungsfeier – wie es früher oft üblich war – eine Bauchtänzerin zu engagieren, den Gedanken aber dann im Hinblick auf die religiöse Einstellung seiner Mutter verwarfen, um sie nicht zu beleidigen.

Bei Verlobungen in Hotels oder Klubs stellt das Management für die Braut am Tag der Feier kostenlos ein Zimmer zur Verfügung. Unabhängig vom Kairoer Verkehr und sonstigen Störfaktoren kann sie dort zumeist in Begleitung ihrer Mutter und anderer weiblicher Verwandtschaft vom Morgen an ihre Vorbereitungen in Ruhe durchführen. Zu diesen rituellen Vorbereitungen zählt Enthaaren, eine komplizierte Frisur, Maniküre, besonderes Make-up und natürlich das Anlegen des Verlobungskleides. Schließlich bekommt sie noch Ratschläge, wie sie am besten mit den durch die unbequemen, hohen Stöckelschuhe verursachten Schmerzen während des Einzugs (zaffa) fertig wird. Die Feier selbst beginnt frühestens um 21 Uhr, zumeist jedoch später.

Mit dem Eintreffen der Gäste wird die Braut zum wartenden Auto gebracht, in dem der Bräutigam auf sie wartet, um mit ihr vor den Eingang des Hotels vorgefahren zu werden. Dort erwartet sie neben den Familienmitgliedern, Freunden und anderen geladenen Gästen auch der vom Hotel zur Verfügung gestellte Zeremonienmeister und natürlich die allgegenwärtige Videokamera. Nach einer Begrüßung werden die Gäste in den Ballsaal gebeten, der für die Feier aufwendig geschmückt wurde. Die stolzen Mütter von Braut und Bräutigam bleiben zurück und begleiten im Kreise der weißgekleideten Kinder der Familie, die Blumen aus ihren Körbchen auf den Weg des Paares streuen, dieses beim Einzug (zaffa). Manchmal kann es allerdings passieren, daß die kleinen Mädchen – sehr zum Ärger der Mütter – es viel lustiger finden, statt den Boden das Paar selbst mit Blumen zu bewerfen.

Auf dem Weg zum Ballsaal folgt das Paar dem Zeremonienmeister und einigen Musikanten. Unter dem dumpfen Trommeln der Tablas bewegt sich der Zug langsam bis zum Ballsaal, wo das Paar in den goldenen Stühlen auf einem Podest (aada) Platz nimmt. Die Tablas schweigen. Kellner mit silbernen Tabletts kommen herein und bringen den Verlobungsschmuck (shabka). Hierbei handelt es sich um einfachen Schmuck, den der Bräutigam der Braut zum Zeichen der Verlobung schenkt. Dazu gehört auf jeden Fall der goldene Verlobungsring (dibla) und ein silberner Verlobungsring für den Bräutigam. Silber deshalb, weil Gold wie auch Seide laut Koran Frauen vorbehalten ist. Natürlich kann der Bräutigam auch mehr Geld für die Braut ausgeben und ihr zusätzliche Schmuckstücke als Teil der shabka kaufen, die gemeinsam von Braut und Bräutigam ausgesucht werden. Das bleibt ihm freigestellt. Der Bräutigam präsentiert nun vor allen Gästen die shabka seiner Braut. Zuerst steckt er ihr den Verlobungsring an der rechten Hand an, zum Zeichen, daß sie an ihn gebunden ist. Dann übergibt er ihr den übrigen Schmuck. Danach steckt auch sie ihm seinen Verlobungsring an die rechte Hand und der Ringetausch ist somit abgeschlossen. Die Gäste applaudieren und die Kellner bringen Tabletts mit Gläsern gefüllt mit kirschrotem Saft (sharbat), sehr süßem, nur schwach verdünnten Kirschen- oder Erdbeersirup. Der Zeremonienmeister hat auf einem Silbertablett zwei Gläser sharbat für das Paar vorbereitet. Beide müssen nun von ihrem Glas nippen und dann gleichzeitig dem Partner sein Glas an den Mund halten, um ihn daraus trinken zu lassen. Dies erfordert einiges Geschick, will man nicht das sündteure Kleid oder den Anzug ruinieren. Die meisten Paare üben deswegen vorher diese symbolische Handlung, die bedeuten soll, daß nun das Blut des anderen in den Venen fließt. Erst danach greifen auch die Gäste zu den Gläsern und trinken.

Nun beginnt die Band, die zumeist aus Keyboard, Baß, Saxophon und Klarinette besteht, zu spielen, zuerst ein langsames Musikstück – entweder ein klassisches ägyptisches Liebeslied oder eine vereinfachte Version eines populären englischen Popsongs. Zu dieser langsamen Musik führt der Zeremonienmeister das Paar von ihrem Podest (aada) herunter auf die davorliegende Tanzfläche und das Paar tanzt den Tanz zu Ende. Danach wieder auf ihre goldenen Fauteuils zurückgeführt, nehmen sie die Glückwünsche von Gästen und Familienmitgliedern entgegen, die bisher noch nicht die Möglichkeit dazu hatten, und Gruppenbilder werden gemacht. Wenn dann der Andrang der Glückwünschenden nachläßt, führt der Zeremonienmeister das Paar zu der im Ballsaal aufgestellten Torte, die sie gemeinsam anschneiden. Die Braut steckt dem Bräutigam und dieser der Braut ein Stückchen Torte in den Mund, als Symbol der gegenseitigem Fürsorge. Das Paar gibt seine Versprechen nicht in Worten sondern in Taten ab.

Danach wird das Essen für die Gäste serviert oder das Buffet eröffnet. In manchen Hotels werden auch Verlobungsfeiern im Rahmen von Cocktailparties angeboten, was aber begreiflicherweise nicht besonders beliebt ist – wer will schon fünf bis sechs Stunden stehen. Die üblicherweise gegen 21 Uhr beginnenden Feiern enden erst gegen 2 oder 3 Uhr früh. Am beliebtesten sind Buffets, die nicht nur eine reiche Auswahl bieten, sondern auch sehr preiswert sind.

Heutzutage besteht der Trend dazu, als Höhepunkt der Verlobungsfeier lieber einen bekannten, kostspieligeren Sänger für einen kurzen Auftritt zu verpflichten als unbekannte für die ganze Nacht. Manche Sänger oder Sängerinnen, die besonders populär sind und das Publikum begeistern, geben ihrer Darbietung eine ganz spezielle, persönlichen Note, wodurch der Auftritt für das Brautpaar ebenso wie auch für die Gäste zu einem besonderen, unvergeßlichen Erlebnis wird. Diese Auftritte finden oft erst nach Mitternacht statt. Die Gäste haben so die Möglichkeit, zu essen und zu tanzen, bevor die Tanzfläche von den Künstlern okkupiert wird.

Zwischen dem Essen und den Auftritten der Künstler wird wieder Musik gemacht. Zu rhythmischer ägyptischer Musik tanzt Jung und Alt. Während die Freundinnen der Braut unter Klatschen einen Kreis um sie bilden, tanzt der Bräutigam im Kreis seiner Freunde. Dann plötzlich vereinigen sich die beiden Kreise und Braut und Bräutigam tanzen im Kreis von Familie und Freunden vereint, gleichsam sprichwörtlich 'zusammengehalten' von Freunden und Familie, die im späteren Eheleben oft als Vermittler auftreten. Sie tanzen, bis sich der Kreis löst und überlassen dann die Tanzfläche den Gästen.

An diesem Punkt geht's erst richtig los. Ob jung oder alt, alles tanzt fröhlich miteinander. Kein Kind ist zu klein, um nicht zu einer Hochzeit oder Verlobung mitgenommen zu werden, deswegen sind sie immer zahlreich vorhanden und nehmen jede Gelegenheit wahr, mit all ihren Schwestern und Brüdern, Cousinen und Cousins zu spielen und speziell den Kellnern das Leben schwer zu machen.

Diese ausgelassene Atmosphäre kann nur durch die Ankündigung des "special guest" unterbrochen werden: Bauchtänzerin oder Sänger/in. Meist wird dies als willkommene Unterbrechung aufgefaßt, da viele bereits außer Atem sind und gerne ein wenig rasten. Die Künstler beziehen das Publikum aktiv in ihre Darbietung ein und lenken wieder die Aufmerksamkeit auf Braut und Bräutigam. Bauchtänzerinnen probieren auf lustige Weise ihre Verführungskünste am Bräutigam aus, Sänger/innen lassen zumeist Braut und Bräutigam zum Gaudium der anwesenden Gäste Strophen aus Liebesliedern singen.

Danach beginnt man wieder allgemein zu tanzen, bis die ersten Gäste – zu später oder bereits früher Stunde – aufbrechen. Auch Braut und Bräutigam steigen von ihrem Podest herab und gehen von Tisch zu Tisch. Das ist die Gelegenheit, um vorgestellt zu werden und Leute kennenzulernen. Langsam werden die Gäste immer weniger, Braut, Bräutigam und ihre engste Familie bleiben übrig. Zumeist gegen 4 Uhr früh trennt man sich und die Braut kehrt mit den Eltern nach Hause zurück, wie auch der Bräutigam sich mit seinen Eltern auf den Heimweg macht.

Noch ist das Paar aber nicht vor dem Gesetz verheiratet. Dieser Teil der Eheschließung (katb el-kitab) ist sozusagen der offizielle Papierkrieg, die Eintragung im "Buch", mit der die Heirat dokumentiert wird. Diese Zeremonie findet entweder im Haus der Eltern der Braut oder in einer Moschee in der Nähe statt. Zumeist nehmen daran nur Männer teil, obwohl natürlich die Frauen, sollten sie anwesend sein wollen, nicht ferngehalten werden. Die Braut ist allerdings keinesfalls anwesend.

An der katb-el-kitab-Zeremonie nehmen nur wenige Personen teil. Es ist eine weit persönlichere Zeremonie, die nur die engsten Familienmitglieder und Freunde betrifft. Zuhause abgehalten, sind nur die engsten männlichen Familienmitglieder von Braut und Bräutigam vertreten, in die Moschee kommen zumeist etwas mehr Leute, unter Umständen auch ein paar ältere, verheiratete Frauen.

Pflicht des Bräutigam ist es, den maazun, der zugleich Standesbeamter und Vertreter der Religionsgemeinschaft ist, zu bestellen. Er übernimmt es auch, ihn für seine Dienste zu bezahlen. Die Zeremonie selbst ist einfach. Der maazun legt die Hand des Bräutigams in die des Brautvaters, bedeckt sie mit einem weißen Tuch und fragt den Bräutigam, ob er diese Ehe ehren und der Tochter des Brautvaters ein guter Ehemann sein wird. Der Bräutigam bejaht dies, worauf der maazun den Vater der Braut fragt, ob er diesen Mann als Ehemann für seine Tochter akzeptiert und willens ist, diese in die Obhut dieses Mannes zu übergeben. Nach dem Einverständnis des Vaters wird der Ehevertrag (Heiratsurkunde) von beiden Männern unterschrieben. Darauf bringt ein Bote den Vertrag ins Haus der Braut, damit sie ihn unterschreibt. Mit dem wieder retournierten, von allen unterschriebenen Vertrag bricht nun die Gruppe zum Haus der Braut auf, wo ein kleiner Empfang stattfindet. Trotz der Tatsache, daß das Paar nun vor dem Gesetz verheiratet ist, geht der Bräutigam nach dieser Zeremonie wieder nach Hause. Die Braut bleibt im Haus ihrer Eltern. Es kommt kaum vor, daß eine Ehe zu diesem Zeitpunkt konsumiert wird, ohne daß man eine gesonderte Hochzeitsfeier veranstaltet. Für das Hochzeitsfest kann nun im Anschluß an diese Eheschließungsformalitäten ein Datum festgesetzt werden. Erst nach diesem zumeist rauschenden Fest bezieht das Paar die eheliche Wohnung.

Sobald also der Termin für das Hochzeitsfest feststeht, werden Einladungen ausgeschickt. Zumeist geschieht dies einige Monate im vorhinein, damit sichergestellt ist, daß alle Gäste, oft auch Verwandte, die im Ausland leben, Zeit genug haben, sich auf den Termin einzustellen und wenn irgendmöglich zu dem Ereignis zu erscheinen, um so zum Gelingen des Festes beizutragen.

Die Hochzeitsfeier muß nun der Bräutigam finanzieren und sollte die Verlobungsfeier übertreffen. Die Planung der Veranstaltung ist kompliziert und zeitraubend. Zumeist mischen sich mehr Leute als tatsächlich notwendig in die Vorbereitungen ein, so daß es schwierig wird, passende Kompromißlösungen zu finden. Das Programm dieses Hochzeitsfestes ist nahezu identisch mit dem zuvor beschriebenen Verlobungsfest, allerdings in einem größeren Rahmen. Kleine Details zeigen an, daß es sich nun um die endgültige Zeremonie handelt, bevor die Realität der Ehe beginnt.

Die Braut bekommt auch diesmal – sofern die Hochzeitsfeier in einem Hotel abgehalten wird – ein Zimmer zu ihrer Verfügung, in dem sie sich für den Abend vorbereiten kann. Diesmal sind die Vorbereitungen noch viel intensiver als bei der Verlobung, ist es doch nicht nur für die Feier, sondern auch für die Hochzeitsnacht.

Die Braut, diesmal im langen, weißen Hochzeitskleid mit einem Schleier, betritt am Arm ihres Vaters das Hotel, wo sie der Bräutigam am Eingang erwartet. Der Brautvater schüttelt dem Bräutigam die Hand und küßt ihn auf beide Wangen wie einen Sohn. Dann legt er die Hand seiner Tochter in die des Bräutigams, der seine Braut auf die Stirn küßt und sie zum Einzug (zaffa) führt.

Freunde und Familie begrüßen das Brautpaar, es wird fotografiert und gefilmt. Aufnahmen mit sämtlichen Kombinationen von Familienmitgliedern und Freunden mit dem Brautpaar werden gemacht und so vergeht erst mal gut ein Stunde.

Schließlich beginnen die Musiker lautstark mit dem Einzug und umrunden das Brautpaar. Der bereits bekannte Zeremonienmeister und Tänzer führen den Zug an, der in Richtung Ballsaal zieht. Der Großteil der Gäste wird an ihre Tische im Ballsaal gebeten, einige bleiben und beobachten den Einzug des Brautpaars.

Weißgekleidete Mädchen mit brennenden Kerzen anstelle der Blumenkörbe begleiten das Brautpaar beim Einzug. Die stolzen Eltern gehen hinter dem Paar. Der Zug wird langsam in Richtung des Ballsaales dirigiert. Fanfarenbläser und tanzende Trommler blasen und trommeln, was das Zeug hält. Es geht nur langsam schrittweise weiter und jedermann schmunzelt über die Lieder mit eindeutigem Inhalt, die man üblicherweise im täglichen Leben nicht hört. Einige Tänzer legen ihre Trommeln beiseite und kehren mit Reifen zurück, die mit Maschen geschmückt sind. Diese schwingen sie im Tanz hula-hoop-artig den Körper auf und ab, was man als Andeutung des Sexuellen auslegen könnte.

Ein paar Schritte weiter wird das Paar wieder angehalten, um eine Gruppe von drei Männern, die hölzerne Gehstecken (aasayas), wie sie die oberägyptischen Bauern zum Inschachhalten von Tier und Mensch benützen, tragen. Ein traditioneller oberägyptischer Tanz, genannt salidi, wird vorgeführt. Dieser endet damit, daß mit den Stecken ein Dreieck um Braut und Bräutigam gleich einem Dach über ihren Köpfen geformt wird. Die beiden unteren Ecken müssen nun vom Brautpaar gehalten werden. Danach drückt man ihnen je einen der hölzernen Schlagstöcke in die Hand und sie müssen einen Kampf mimen, ähnlich einem Kampf mit Schwertern, der damit endet, daß Braut und Bräutigam jeweils ihren Stock hinter dem Rücken des anderen in waagerechter Stellung an beiden Enden halten. Die Tänzer beginnen wieder auf ihren Tablas und Trommeln zu spielen und dazu zu singen, bis sie von drei anderen Tänzern verdrängt werden, die kleine Weihrauchkessel an Ketten in ihren Händen schwingen und das Brautpaar mit wohlriechenden weißen Rauchschwaden einhüllen. Die an Ketten befestigten Metallgefäße werden kunstvoll von den Tänzern um das Brautpaar herum geschwungen. Langsam aber sicher zieht das Brautpaar mit seinem Gefolge im Ballsaal ein und nimmt dort auf dem vorbereiteten Podest (aada) auf goldenen Sesseln Platz.

Um zu zeigen, daß sie nun nicht mehr verlobt, sondern Mann und Frau sind, steckt der Bräutigam der Braut den Verlobungsring vom rechten Ringfinger an den linken und die Braut steckt auch ihm den Ring auf die andere Hand. Vor dem Hochzeitsfest wurde auf der Innenseite der Verlobungsringe der Vorname der Braut bzw. des Bräutigams und das Hochzeitsjahr eingraviert. Da zwischen Verlobung, der Eheschließung vor dem Gesetz (katb el-kitab) und der tatsächlichen Hochzeitsfeier Monate und auch Jahre liegen können, werden die Ringe zumeist kurz vor der Hochzeitsfeier graviert (man könnte es sich vielleicht noch überlegen!).

Wie bei der Verlobungsfeier wird auch hier der übliche sharbat serviert, allerdings kommt zu dem bereits beschriebenen Ritual des gegenseitigem Trinkenlassens noch ein anderes hinzu. Das Paar muß versuchen, gleichzeitig aus demselben Glas zu trinken, was seine Einheit und das gemeinsame Leben demonstrieren soll.

Die Musik beginnt, und wieder signalisiert das Brautpaar durch einen langsamen Tanz, daß jetzt allgemein das Tanzbein geschwungen werden darf. Danach kommt wieder die mehrstöckige Hochzeitstorte an die Reihe. Sie wird gemeinsam angeschnitten und gegessen und der restliche Abend vergeht rasch mit Gratulationen, beim Tanzen, der meist wieder durch Gesangs- und Tanzdarbietungen von Künstlern unterbrochen wird, und natürlich am Buffet. Jeder soll sich gut unterhalten. Wenn alle nach Hause gehen, beginnt das neue Leben des Paares als Mann und Frau in ihrer bis dahin völlig fertiggestellten und eingerichteten Wohnung. Nicht selten fährt das Paar in den nächsten Tagen auf Hochzeitsreise.

Obwohl eine solche Hochzeitsfeier legal absolut nicht notwendig ist, wird sie als der wichtigste Teil der Eheschließung angesehen. Zwar hört man schon Stimmen in der jungen Generation, daß eine solche Feier mit ihren langwierigen traditionellen Prozeduren reichen würde, die ältere Generation hält es aber immer noch für eine absolute Pflicht, daß ihre Kinder ein Hochzeitsfest feiern und betrachtet das Paar ohne eine derartige Feier als nicht wirklich verheiratet.

Im Alltag, in dem man bemüht ist, genug für die Finanzierung seines Lebensstandards zu verdienen, bleibt wenig Zeit für Erholung und Unterhaltung oder um Streß abzubauen und gleichzeitig noch das ganze Jahr lang gesellschaftlich aktiv zu sein. Hochzeiten und Verlobungen sowie andere Familienfeste bieten nun die Möglichkeiten hierzu und fördern außerdem noch die Bindung in der Familie. Dadurch, daß damit auch ein Zweck verbunden ist, kommt erst gar kein schlechtes Gewissen auf, man könnte unproduktiv gewesen sein, und man kann reinen Herzens essen, singen und tanzen, die Sorgen des Alltags für eine Weile ablegen und sich des Lebens erfreuen.

In Kairo wird es immer schwerer, Arbeit zu finden und sich eine sichere finanzielle Basis zu schaffen. Universitätsabgänger müssen feststellen, daß sie – wenn überhaupt – nach jahrelanger Ausbildung praktisch umsonst arbeiten müssen und suchen so ihr Glück im Ausland, wo man noch was verdienen kann. Sie versuchen es hauptsächlich im arabischen Umfeld wie z.B. Libyen, Kuwait, Saudi-Arabien, aber auch in Europa und Nordamerika. Die Eheschließung zwischen solchen im Ausland tätigen jungen Männern mit ägyptischen Frauen wird hier gern als Möglichkeit gesehen, eine traditionelle Familie zu gründen und gleichzeitig eine stabile Basis zur Rückkehr nach Ägypten zu schaffen. Die Basis besteht nicht nur aus den finanziellen Reserven, die aus der Tätigkeit im Ausland resultieren, sondern auch aus der Familie der beiden Ehepartner. Eine der verbreitetsten Ängste in Ägypten ist jene vor dem Zerfall der Familie. So sieht man gerne, daß rebellische junge Familienmitglieder einen traditionell familienorientierten Partner heiraten. Man betrachtet es als eine Garantie, daß auf diese Weise die Verbindung zur Familie aufrecht bleibt und die Familie dadurch sozusagen überlebt.

Unter den Zuwanderern, die nach Kairo kommen, um Arbeit zu suchen, die ihnen und ihren Kindern bessere Aussichten für die Zukunft bietet, ist es die Aufgabe der Mutter, eine Mitgift für ihre Tochter vorzubereiten. Die Mitgift ist oft entscheidend bei der Auswahl der Braut. Deswegen beginnt die Mutter gleich nach der Geburt der Tochter, Dinge anzuhäufen, die sie ihr später weitergeben kann, wenn sie heiratet. Es ist gar nicht so einfach, eine solche Mitgift ordentlich vorzubereiten, umso mehr als z.B. auch die Kücheneinrichtung dazu gehört. Diese inkludiert den Eiskasten und Herd, kostspielige Dinge, wenn man bedenkt, daß u.U. das gemeinsame monatliche Einkommen eines Ehepaares nicht mehr als LE 400 beträgt und hiervon Miete, Gas, Strom, Wasser etc. ebenso wie Essen und Kleidung für eine zumeist kinderreiche Familie gezahlt werden müssen.

Nachdem es in dieser Bevölkerungsschicht durchaus üblich, wenn nicht unerläßlich ist, daß junge Frauen arbeiten, ist es nicht ungewöhnlich, daß sie bald einen jungen Mann treffen, der ihnen sein Interesse bekundet. In der Folge geht es dann um die Einwilligung der Eltern, es schließen sich gegenseitige Vorstellungen an. Wenn der Bräutigam erst einmal erklärt hat, was er in die Ehe mitbringt und die Braut ihre Mitgift hergezeigt hat, wird die Entscheidung von den Eltern getroffen. Bei deren grundsätzlicher Zustimmung, d.h. wenn beide Partner von den Eltern als potentielle Ehepartner ihrer Kinder akzeptiert werden, trifft sich der Mann mit dem Vater des Mädchens, um zu besprechen, welche Summe (mahr) er zahlen kann. Hat man sich darüber geeinigt, muß der Bräutigam den Schmuck (shabka) kaufen, der zumindest aus dem Verlobungsring (dibla), Ohrringen, einer Halskette und zwei Broschen bestehen sollte.

Entsprechend den traditionellen Regeln hat der Bräutigam die Einrichtung des Schlafzimmers, bestehend aus einem Bett, einem Schrank und anderen Gegenständen, über die sich das Paar erst einigen muß, zu beschaffen, was ihn zumindest LE 1.000 bis LE 1.500 kostet. Üblicherweise nimmt man die Möglichkeit der Ratenzahlung in Anspruch oder Verwandte greifen dem Paar unter die Arme.

Die Eltern der Braut sind verpflichtet, zwei Matratzen, zwei Polster, sechs Sets von Bettzeug, sechs Handtücher, sechs Tischtücher und Vorhänge beizubringen. Sie zahlen auch für die Verlobungsparty, die ca. LE 1.000 kostet. Der Bräutigam muß nicht nur die Hochzeitsfeier, sondern auch sowohl das Kleid für die Verlobung als auch jenes für die Hochzeit finanzieren. Heutzutage machen manche auch von der Möglichkeit Gebrauch, sich ein Hochzeitskleid auszuleihen.

Unter den Zuwanderern in Kairo wird oft die Verlobung und die gesetzliche Eheschließung (katb el-kitab) in einem gefeiert. Diese Feier ist teurer als die Hochzeitsfeier und dient hauptsächlich dazu, allgemein publik zu machen, daß das Paar die Heiratsurkunde unterschrieben hat und Hochzeit feiern wird. Diese katb-el-kitab-Feier findet in der Straße, in der die Eltern der Braut wohnen, statt. Ein Raum aus den im Straßenbild von Kairo häufig gesehenen bunten Zelttüchern wird aufgestellt. Bei Einbruch der Dunkelheit erleuchten farbige Laternen und Lichterketten das Festzelt. Die Namen von Braut und Bräutigam und alle Arten von Glückwünschen sind am Boden in farbigen Sägespänen aufgemalt und Braut und Bräutigam müssen darüber gehen, denn das bringt Glück. Vom Ende der Straße her ziehen Braut und Bräutigam, umringt von der singenden, tanzenden und klatschenden Menge langsam zum Festzelt, wo sie auf zwei prächtigen Stühlen auf einem Podest (kosha) Platz nehmen. Dort präsentiert der Bräutigam der Braut den Schmuck (shabka) und sie stecken sich die Verlobungsringe (dibla) gegenseitig an. Kellner bringen Tabletts mit sharbat und auch hier ist das Ritual des Nippens bzw. gegenseitigen Trinkenlassens nicht wegzudenken.

Damit hat nun die Party endgültig begonnen: Festgäste beglückwünschen das Paar auf ihrem erhöhten Platz. Ein Tabla-Spieler geht von Tisch zu Tisch und kassiert von den Gästen Geld und fromme Wünsche für Braut und Bräutigam, die er dann lauthals an die Schar der Festgäste weitergibt. Manch ein begabter Tabla-Spieler, der seine Sache mit Humor macht, kann die Festgäste stundenlang unterhalten. Das eingesammelte Geld übergibt er am Ende dem Brautpaar, das es zur Fertigstellung ihrer Wohnung verwendet. So hat man zwei Fliegen auf einen Schlag: die Gäste werden köstlich unterhalten und das Brautpaar bekommt das, was es jetzt wohl am nötigsten braucht, nämlich Geld. Es ist für reichliches Essen gesorgt und gegen 21 Uhr beginnen Tanzvorführungen. Dies ist eindeutig der beliebteste Teil der Feier. Während die Gäste bereits den Tee genießen, kommen Derwische ins Festzelt und drehen sich in schwindelnder Eile auf der Tanzfläche vor dem Brautpaar. Am Rand sitzende Gäste werden aufgefordert, sich den Derwischen anzuschließen und tun dies auch, sehr zum Gaudium aller Zuschauer. Nach der Darbietung der Derwische spielt die Musik lebhafte arabische Musik, zu der sowohl Frauen als auch Männer bauchtanzen. Hier wird keine professionelle Bauchtänzerin benötigt, man tut es einfach selbst und findet es weit unterhaltsamer.

Darauf folgen dann einige besondere Tänze, die jeweils eine bestimmte Region Ägyptens darstellen. Die Kostüme, die die Tänzer beim Alexandriner Tanz tragen, weisen mit ihren weißen Hosen und Hemden auf die Tradition der dort lebenden Fischer hin. Eine Darstellungsart, die wohl für das am Mittelmeer gelegene Alexandria sehr zutreffend ist. Im saaida-Tanz tragen die Tänzer galabeyas und Stöcke, wie sie die Bauern auf dem Land tragen. Sie wirbeln die Stöcke mit bewundernswerter Geschwindigkeit und Geschicklichkeit. Da die meisten Zuwanderer aus den ländlichen Gebieten (saaid) stammen, ist dies der beliebteste Tanz und viele Gäste machen mit. Auch Port Said hat einen eigenen Tanz, bei dem die Tänzer als Schiffer gekleidet sind. Der letzte Tanz – unabhängig von der Reihenfolge der anderen Tänze – ist der masreya-Tanz, der die Region Kairo repräsentiert. Er beschließt das Programm und bringt die Gäste wieder in die Realität zurück. Die Tänzer treten in Straßenkleidern mit Springmessern auf. Dies gibt deutlich die Atmosphäre der Großstadt wieder. Es gibt immer wieder Gäste, die ihre Springmesser mithaben und auch gleich mittanzen.

Üblicherweise geht es so bis 1 Uhr morgens weiter – danach geht das Fest langsam zu Ende. Braut und Bräutigam warten mit ihren Eltern, bis alle gegangen sind und gehen dann auch nach Hause, die Braut mit ihren Eltern, der Bräutigam mit seinen. Einige Tage später besucht der Bräutigam die Braut und ein Datum für die Hochzeitsfeier wird festgesetzt, mit Bedacht darauf, wann die Wohnung der beiden fertig wird. Bis dahin wird die Ehe nicht konsumiert.

Nun steht also das Datum für die Hochzeitsfeier fest und die Vorbereitungen beginnen. Zwei Tage vor dem Fest organisiert das Bräutigam einen Lastwagen für den Transport seiner "Zimmer" (die Möbel für die Räume, die er einrichtet). Die Braut tut desgleichen und lädt die Einrichtungsgegenstände, die sie beisteuert, auf einen Lastwagen oder zwei, je nach dem Umfang ihrer Mitgift. Die Frauen der Familien klettern auf den mit Matratzen beladenen Wagen und unter Singen und Klatschen bewegt sich der LKW zur Wohnung des Brautpaars. Am Bestimmungsort angelangt wird mit Hupen und Lärmen den Nachbarn angekündigt, daß hier demnächst ein frisch verheiratetes Paar einziehen wird. Die Frauen putzen und richten die Wohnung ein. Alles wird fertig gemacht bis auf das Bett, das erst am Tag vor der Hochzeit hergerichtet wird.

Am Tag vor der Hochzeitsfeier (um el-henna) kommen die weiblichen Verwandten und Freunde mit Geschenken ins Haus der Eltern der Braut. Sie verbringen den Tag mit Kochen, Essen und sparen nicht mit guten Ratschlägen. Eine ältere Frau, zumeist ein Tante, kommt und färbt die Hände und Füße der Braut mit Henna. Wer will, kann sich gleich anschließen. Die Zubereitung des Henna ist eine besondere Prozedur. Nachdem es mit Wasser angerührt und für eine halbe Stunde abgestanden ist, werden darin vier Kerzen aufgestellt und angezündet. Das Ganze kommt in einen Kübel, an dem noch Ballons befestigt werden. Nun muß die Schwester der Braut oder des Bräutigams diesen Kübel auf dem Kopf – unter Singen und Klatschen der anderen sie begleitenden Frauen – dreimal um den Häuserblock tragen. Danach werden Hände und Füße der Braut bemalt. Die Nacht verbringt sie mit ihren Freundinnen.

Am nächsten Tag um die Mittagszeit oder am frühen Nachmittag brechen die Frauen in Richtung des Friseursalons auf, um dort für das Hochzeitsfest frisiert und geschminkt zu werden. Nachdem der Braut auch die Haare entfernt, die Nägel lackiert und die Frisur gemacht wurde, zieht sie gleich beim Friseur das Hochzeitskleid an. Am Abend ist sie fertig und der Bräutigam wartet in einem Wagen auf sie. Dieser mit Bändern und Blumen geschmückte Wagen, der zumeist von einem Verwandten chauffiert wird, bringt das Brautpaar zu dem Platz, wo fotografiert werden soll – zumeist im Freien, vor einem Brunnen oder vor einem Denkmal. Die Verwandten und Freunde, die Wert darauf legen, auch auf den Hochzeitsphotos zu erscheinen, fahren hinterher. Es wird gehupt und gewinkt und so jedermann klargemacht, daß es sich hier um eine Hochzeit handelt. Sind alle Photos gemacht, fährt der ganze Zug zur Wohnung des Paares. Es ist mittlerweile ca. 11 Uhr abends und die eigentliche Feier beginnt. Das Paar wird vom Anfang ihrer Straße bis zu ihrer Wohnung begleitet – der Einzug (zaffa) dauert rund eine Stunde. Tabla- und Tambourin-Spieler überbringen dem Brautpaar die Wünsche der Festgäste und Geldgeschenke. Die Frauen am Rande des Hochzeitszuges streuen Reis und Salz auf das Paar, besonders aber auf die Braut, um sie vor dem bösen Auge zu schützen und ihre Gesundheit zu sichern.

In der Wohnung angelangt, steckt der Bräutigam der Braut den Verlobungsring vom rechten Ringfinger als Ehering an die linke Hand. Die Braut tut desgleichen mit der dibla ihres Partners und hiermit ist die Ehe endgültig. Wie schon bei der Verlobung wird sharbat getrunken und die Hochzeitstorte gemeinsam angeschnitten. Auch hier füttern sich Braut und Bräutigam gegenseitig. Die Frauen tanzen und essen, was die Familie des Bräutigams vorbereitet hat. Danach verlassen Braut und Bräutigam die Festgäste, um die Ehe endgültig zu konsumieren. Die Eltern des Bräutigams gehen als letzte, nachdem sie noch wohlriechende Räucherstäbchen (bokhuur) angezündet haben.

In den Dörfern in der Umgebung von Kairo ist eine Eheschließung ein kontinuierlicher Prozeß, mit dessen Vorbereitung die Menschen ein Leben lang beschäftigt sind. Am häufigsten wird auch hier in der Familie geheiratet (Cousin und Cousine), mit dem Ziel, auf diese Weise die Position der Familie in der Gemeinschaft zu stärken. Es ist Tradition, daß sich die kleinen Buben bereits als Kinder mit ihren Zukünftigen verloben. Die Väter der beiden arrangieren alles und das Mädchen bekommt Ohrringe zum Zeichen der Verlobung. Im heiratsfähigen Alter, zumeist wenn der junge Mann Anfang 20 ist und das Mädchen um 15 Jahre alt ist, muß der junge Mann einen Schmuck (kirdan) für seine Braut kaufen, und zwar eine Halskette und zwei Broschen, vorzugsweise aus Gold. Der Bräutigam bespricht mit dem Vater der Braut die Höhe des Betrages (seegha – entspricht der in der Stadt geleisteten mahr-Zahlung), den er ihm zahlen wird. Diese Verhandlungen sind eher harmlos, da ja schon feststeht, daß geheiratet wird. Normalerweise hat der junge Mann keine Konkurrenz, es sei denn, ein ausgesprochen vielversprechender Kandidat taucht auf. Dies kommt aber selten vor, so daß es meist auch tatsächlich zu der bereits vor Jahren arrangierten Hochzeit kommt.

Auch auf dem Land hat jeder seinen Pflichtteil an der Ausstattung zu beschaffen. Der Bräutigam kauft Bett, Schrank und das Gold. Die Familie der Braut stattet sie mit Kleidern aus, sowie mit Decken und Küchenutensilien. In den Dörfern sind Verlobungen keine großen Angelegenheiten. Manche Familien feiern sie gar nicht und warten lieber auf die Eheschließung vor dem Gesetz (katb el-kitab), um im kleinen Kreise zu feiern.

Es ist auch hier Sache des Bräutigams, den maazun in die nahe Moschee oder ins Haus zu rufen. Dieser verbindet die Hände des Bräutigams und des Brautvaters und nimmt dem Bräutigam das Eheversprechen ab. Der Brautvater spricht aus, daß er die Braut in die Obhut dieses Mannes entläßt. Dies geschieht im Kreise der männlichen Angehörigen beider Familien – da Braut und Bräutigam zumeist verwandt sind, bleibt die Gruppe relativ klein. Die Heiratsurkunde wird der Braut geschickt und wenn sie unterschrieben (oder mit einem Daumenabdruck versehen) zurückkommt, versammeln sich die Männer im Haus der Brauteltern zum Tee.

Auf dem Land ist es der Brauch, dem maazun abgeschnittene Finger- und Zehennägel von Braut und Bräutigam und kleine Zettelchen mit ihren Namen und den Namen der Mütter zu übergeben. Dies alles wickelt er in ein weißes Tuch und bewahrt es in einem Koran auf – das bringt Glück und segnet die Heirat. Noch fehlt aber die Hochzeitsfeier zum vollständigen Glück des Paares.

Am Tag vor der Hochzeit (yum el-henna) besuchen alle weiblichen Verwandten die Braut zuhause, und gemeinsam werden die von der Brautmutter gebackenen kleinen süßen Kuchen aus Mehl, Zucker und Butterschmalz (kahkh, die auch zum Eid sehr beliebt sind) verzehrt. Ein ältere Frau aus dem Dorf zeichnet filigrane Muster auf Hände und Füße der Braut, um sie zu verschönern. Außerdem wird ihr Körper mit halawa (Zucker geschmolzen mit Zitronensaft) enthaart und manchmal auch mit einer nach Jasmin riechenden Creme gesalbt, um sie für die Hochzeitsnacht vorzubereiten.

Am Tag des Hochzeitsfestes bleibt die Braut zuhause mit ihren weiblichen Verwandten, die singen und tanzen und ihr gratulieren. Sie wird auf einem erhöht aufgestellten Sessel plaziert, damit sie sich von den anderen Frauen unterscheidet. Sie darf zwar mit den anderen tanzen, kehrt aber immer wieder auf ihren Sitz zurück. An diesem letzten Tag im ledigen Leben der Braut unterhalten sich ihre Besucherinnen und geben noch gute Ratschläge, doch am Abend gehen sie heim, und die Braut verbringt die letzte Nacht im Haus ihrer Eltern. Ihre Mutter bringt Reis, Zucker, Seife und einen kleinen Gaskocher in ihr Zimmer. Diese Gegenstände, die sie die ganze Nacht über in ihrem Zimmer lassen muß, verkörpern einige der Qualitäten, die sie mit in die Ehe bringt: Wärme, Nahrung und Sauberkeit.

Den Bräutigam besuchen an diesem Tag seine Freunde, die den ganzen Tag mit ihm verbringen, ihm Ratschläge erteilen und Spaß haben. Sie waschen und rasieren ihn und singen Lieder, die die unmittelbar bevorstehenden Veränderungen aufgrund der Hochzeit in seinem Leben zum Thema haben. Auch seine Hände und Füße werden mit Henna geschmückt. Entweder tut dies eine ältere Verwandte oder ein älterer Mann aus dem Dorf.

Nun ist endlich der große Tag gekommen, der "Hochzeitstag", aber es bedeutet auch einen Tag des Glücks, und das für das ganze Dorf, das mitfeiert. Eine Stunde, bevor die Braut endgültig das Haus ihrer Eltern verläßt, kleidet man sie in ihr weißes Hochzeitskleid, das aus besonderen traditionellen Stoffen besteht. Ihr Haar ist gebürstet und parfümiert, wenn auch ohne aufwendige Frisur. Sie trägt es offen mit einem weißen Tuch bedeckt. Ihre Augen sind mit Khol (khajal) umrandet, was nicht nur Schminke ist, sondern sie auch gleichzeitig schützt. Grundsätzlich trägt eine Dorfbewohnerin nie Schminke, außer an ihrem Hochzeitstag, um zu betonen, daß sie eine Braut ist.

Der Bräutigam kommt in einer weißen galabeya mit einem weißen Seidenschal, der zumeist vom Vater auf den Sohn vererbt wird oder ein Hochzeitsgeschenk seiner Freunde ist. Er trägt auch den traditionellen Stock (aasaya). Er hilft seiner Braut in den Wagen, und sie fahren zusammen in ihr neues Heim. Begleitet werden sie von ihren Familien, die alle ihrem Wagen in einer Prozession folgen, der sich zumeist der ganze Ort anschließt. Es wird gesungen und geklatscht und mit Musketen in die Luft gefeuert. Beim Heim der jungen Leute angelangt, beginnt Musik zu spielen und jeder wird animiert mitzutanzen und mitzusingen. Die Mutter des Bräutigams hat Unmengen von Essen vorbereitet, um das ganze Dorf abzufüttern. Jeder kann essen soviel er will.

Die Festlichkeiten gehen weiter bis Braut und Bräutigam ankündigen, daß sie sich zurückziehen. Man gratuliert durch Zurufen und Klatschen und läßt sie allein, um die Ehe zu konsumieren. Die Feier geht allerdings so lange weiter, bis die Gäste müde nach Hause gehen. Es gibt so nie ein wirkliches Ende des Hochzeitsfestes, es endet einfach dann, wenn keiner mehr übrig ist.

Braut und Bräutigam haben sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen, wo die Mutter des Bräutigams eine Schüssel gegrillte Leber vorbereitet hat, die sowohl als nächtlicher Snack als auch als Aphrodisiakum gedacht ist. Am nächsten Morgen begrüßen die engsten Familienmitglieder das junge Ehepaar mit extra zubereiteten ägyptischen Pfannkuchen (fatir), mit Honig und süßem Rahm (eshta) zum Frühstück. Dorfbewohner, die noch keine Gelegenheit zum Gratulieren hatten, können dies nun tun und bringen Geld, Süßigkeiten und kleine Geschenke. So geht es fünf Tage lang. Einige Tage nach der Hochzeit kauft die Familie des Bräutigams – wie es Tradition (el-sulha) ist – etwa fünf Kilogramm Fleisch und teilt es mit der Familie der Braut und den neuen Nachbarn des jungen Paares. Manchmal wird auch ein Schaf geschlachtet, zubereitet und gemeinsam gegessen, um Solidarität und guten Willen zu demonstrieren. So sollte also wirklich nichts schiefgehen.

Die Herkunft vieler traditioneller Hochzeitsbräuche ist bereits in Vergessenheit geraten. "Weil es eben so ist", antworteten viele auf die Frage nach den Wurzeln verschiedener Bräuche. Man unterstrich die Notwendigkeit, daß sich die Menschen bei diesen Feierlichkeiten gut unterhalten und daß das Paar glücklich wird. Auf die Frage, warum sharbat unbedingt rot und das Hochzeitskleid unbedingt weiß sein müsse, erzählte man mir, daß Rot und Weiß die Farben des Glückes seien. Das Paar soll glücklich werden und mit ihm die zufriedene Familie.

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Perspektiven im Ausland?
von Frank Gesemann und Iris Nentwig

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 45—46

In Ägypten werden jährlich um die 2 Millionen Kinder geboren, das heißt etwa alle 16 Sekunden kommt ein Baby zur Welt. Am 5. August 1988 erreichte Ägyptens Bevölkerung die 53 Millionen-Grenze, ein Zuwachs von einer Million innerhalb von acht Monaten. Für nicht weniger als 500.000 Menschen müssen jährlich Arbeitsmöglichkeiten gefunden werden. Allein 120.000 Graduierte verlassen die Hochschulen jedes Jahr auf der Suche nach einem adäquaten Einstieg ins Berufsleben.

Demgegenüber steht eine wachsende Arbeitslosigkeit, die in den letzten Jahren bis auf 20% geschätzt wurde und von der in starkem Maße auch Höherqualifizierte betroffen sind. In den letzten 10 bis 15 Jahren wurde diese Entwicklung überlagert von der starken Nachfrage nach ägyptischen Arbeitskräften durch arabische Nachbarländer, die den nationalen Arbeitsmarkt entlastete.

In Reaktion auf die dramatischen Preissteigerungen bei Erdöl und dem damit einsetzenden Wirtschaftsboom in den Erdölstaaten wanderten in den letzten 10 bis 15 Jahren Millionen ägyptischer Arbeitskräfte in die reichen aber bevölkerungsarmen arabischen Nachbarländer. Während 1973 noch weniger als 100.000 Ägypter im Ausland arbeiteten, wuchs diese Zahl in den Jahren bis 1985 um ein Vielfaches. Charakteristisch für den rapide und unkontrolliert anwachsenden Migrationsstrom ist das Fehlen zuverlässiger Zahlen. Schätzungen für 1985 liegen zwischen 1,2 und 3,5 Millionen! Demnach entfallen allein auf die fünf Länder Irak, Saudi-Arabien, Kuwait, Jordanien und Libyen 85% der ägyptischen Gastarbeiter, wobei der Anteil der beiden erstgenannten Länder sogar bei 60 bis 65% liegt.

Treibende Motive für die Ägypter, die ihr Land verlassen, sind die schwierige Lage auf dem nationalen Arbeitsmarkt und Verdienstmöglichkeiten, die bis zum Zehnfachen und mehr die ägyptischen Löhne übertreffen. Unter den Migranten finden sich Angehörige der verschiedensten Berufs- und Tätigkeitsgruppen. Neben den vielen Arbeitskräften mit geringen Qualifikationen ließen in hoher Zahl auch Facharbeiter und Handwerker sowie Höchstqualifizierte, z.B. Lehrer und Ärzte, ihre Heimat hinter sich. Diese sind überwiegend im Bausektor, im sozialen Dienstleistungsbereich, in der Industrie, in Banken und Versicherungen, aber auch im Agrarsektor beschäftigt. Die ägyptischen Gastarbeiter sind zu 95% männlich und mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren deutlich jünger als die übrige arbeitsfähige Bevölkerung. Die Tatsache, daß ca. 56% der Migranten vom Land kommen, verdeutlicht, daß nicht mehr nur Angehörige der höher gebildeten städtischen Bevölkerungsschichten die im Ausland liegenden Möglichkeiten wahrnehmen ("Brain Drain"): Zwar verfügen ca. 13% der Migranten über einen Hochschulabschluß, doch ist der Anteil der Analphabeten mit 35% bemerkenswert hoch!

Wenngleich die unkontrollierte Abwanderung der besonders qualifizierten Arbeitskräfte auch Engpässe im eigenen Land verursachte, sind doch positive Auswirkungen unübersehbar. Ein hoher Anteil der Löhne ägyptischer Gastarbeiter fließt in Form von Kapital oder Waren zurück ins Land und erweitert die für Konsum und Investitionen zur Verfügung stehenden Ressourcen erheblich. Die Überweisungen der Gastarbeiter wurden für den ägyptischen Staat in den letzten Jahren zur wichtigsten Devisen-Einnahmequelle, die die gesamten Exporterlöse aus Erdöl, Baumwolle und Industrieprodukten übertrifft. Jährlich fließen etwa 2 bis 3 Milliarden US-$ über offizielle Kanäle ins Land und schätzungsweise noch einmal der gleiche Betrag über informelle Wege. Die Überweisungen im Zeitraum 1974 bis 1985 werden auf ca. 20 Milliarden US-$ geschätzt und sind als zentraler Faktor für eine Entwicklungsdynamik verantwortlich, an der große Teile der Bevölkerung partizipieren konnten.

Die Ersparnisse der zurückkehrenden Gastarbeiter dienen in erster Linie der unmittelbaren Erhöhung des Lebensstandards und der Befriedigung von existentiellen Konsumbedürfnissen (Nahrung, Kleidung). Darüber hinaus steht die Verbesserung der Wohnsituation, der Kauf von langlebigen Konsumgütern und die Finanzierung einer Hochzeit oder Pilgerreise im Vordergrund. Einige nutzen ihre Ersparnisse zur Erschließung neuer Verdienstmöglichkeiten, kaufen Taxis und Lieferwagen für Transport und Handel, oder eröffnen Werkstätten, sowie Geschäfte für Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs.

In den ländlichen Gebieten wird schließlich durch den Erwerb von Agrarland und die Anschaffung von Pumpen, Traktoren und Vieh auch in der Landwirtschaft investiert. Eine besonders attraktive Anlagemöglichkeit sind infolge des Baubooms auch Fabriken zur Ziegelherstellung. Überall auf dem Land verdrängen rote Ziegelhäuser das gewohnte Bild der traditionellen Lehmbauweise. So ist es nicht verwunderlich, daß einige Dörfer schon nach wenigen Jahren kaum noch wiederzuerkennen sind. Die Migration ägyptischer Arbeitskräfte hat die Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung deutlich verbessert, aber die langfristigen Auswirkungen werden davon abhängen, inwieweit die produktiven Kapazitäten des Landes durch Investitionen in Industrie und Landwirtschaft erweitert werden.

Die erdölpreisbedingte Rezession in den reichen Golfstaaten, die Fertigstellung zahlreicher Projekte und die Aussetzung neuer Entwicklungsvorhaben führte in den letzten Jahren zu einem Rückstrom tausender ägyptischer Gastarbeiter. In Ägypten treffen sie auf einen ohnehin überlasteten Arbeitsmarkt, der bereits nicht mehr in der Lage ist, die nachwachsende Generation mit den jährlich zusätzlich benötigten 400.000 bis 450.000 Arbeitsplätzen zu versorgen. Allerdings ist kaum anzunehmen, daß die Integration der allmählich zurückkehrenden Gastarbeiter ein unlösbares Problem darstellt, verglichen mit den schwierigen Zukunftsperspektiven und enttäuschten Hoffnungen derjenigen jungen Menschen, die jährlich neu auf den Arbeitsmarkt drängen und für die nun auch der Ausweg der vorübergehenden Arbeitsmigration eine immer schwerer zu verwirklichende Möglichkeit darstellt. Eine beschäftigungswirksame Politik und eine Mobilisierung der Jugend, die ihr Engagement und ihren Idealismus zu beflügeln vermag, wird auch damit zu einer zentralen Aufgabe für die Zukunft.

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Teehäuser
von Ekkehard Schmidt

Papyrus-Logo Nr. 5—6/89, pp. 55—56

Wenn sich Ende Dezember ein kalter Dunst über Kairo legt, holen die Ägypter dicke Wollschals aus dem Schrank. Frierend eilen sie über die Straßen. Nur aus den Teehäusern dringt warme, wohlig riechende Luft. Der bittere Geruch des türkischen Mokka vermischt sich mit süßlichem Qualm des honiggetränkten schwarzen Tabaks der Wasserpfeifen. Am Ausgang sitzt ein älterer Mann und singt leise. Keiner kennt ihn, ich sah ihn nur dieses eine Mal. Im fröhlichen Lärm der Unterhaltungen drumherum sind die Strophen kaum zu verstehen. Das sollen sie auch nicht unbedingt. Er singt nur für sich, unaufdringlich und doch für alle Anwesenden. In sich versunken sitzt er da, im Schoß hält er seine "Uud", eine arabische Gitarre mit fünf Doppelsaiten, die er wie ein verletzliches Baby im Arm hält. Die "Uud" ist das klassische Instrument der arabischen Musik – als "Laute" kam sie im Mittelalter über Spanien und Byzanz nach Europa. Über 50 Männer sitzen an runden Metalltischen, lassen sich vom heißen Tee aufwärmen. Niemand scheint zuzuhören, aber jeder spürt die sanfte Umarmung dieser Melodien. Sie strahlen eine anrührende Wärme aus, beruhigen das Gemüt. Ein alter Mann, ruhend in sich selbst, wie die schlafende Katze unterm Nachbartisch. Jeder im Raum spürt es: Diese Musik ist Ausdruck stiller Liebkosungen. Der Klang der vibrierenden Saiten gleicht dem Schnurren der Katze.

In großen traditionsreichen Teehäusern wie dem "El Horea" (Die Freiheit) am Falaky-Platz geben sich in kurzen Abständen auch die Bettler die Klinke in die Hand. Doch sie kommen nicht mit leeren offenen Händen. Ein Blinder trägt eine Schachtel mit Zigaretten und Streichholzschachteln, ein Mädchen bietet Tempotücher an. Heute ist ein guter Tag, die Männer bezahlen mit Pfundnoten, ohne Wechselgeld zu erwarten. Ein alter Bettler mit Krücken und blauem Jackett über der weißen Galabiya schlurft von Tisch zu Tisch. Die 50 Piaster, die ich ihm in die Hand drücke, hebt er zum Dank an die Stirn, murmelt ein Dankeswort und geht zum Nachbartisch. Dort wird Schach gespielt. Ein Dutzend Zuschauer sind keine Seltenheit. Noch beliebter sind Domino und Tavla (Backgammon), das "Nationalspiel" der Ägypter. In Kairos Teehäusern wird gern und ausdauernd gespielt.

Zu jedem Teehaus gehört auch ein Schuhputzer, auffordernd klopft er mit der Bürste gegen seine Holzkiste, oder – wenn er zum "Inventar" des Hauses gehört – reicht er dem Gast ein Stück Pappkarton. Mit dem zu putzenden Paar Schuhe kehrt er in seine Ecke zurück, der Kunde wartet derweilen, die Füße auf der braunen Wellpappe.

Niemand verbringt den gesamten Tag im Teehaus, höchstens Omar und seine vier Kellnerkollegen: geschlagene 16 Stunden dauert der Arbeitstag eines Quahwagi, (quahwa heißt gleichzeitig Kaffee und Café). Ein zentrales Teehaus wie das "El Horea" ist aber auch Arbeitsplatz kleinerer Geschäftsleute, die sich kein eigenes Büro leisten können. Den Kopf über Papieren gebeugt oder auf Kunden wartend, verbringen sie den Vormittag. Mit einem europäischen Café läßt es sich nicht vergleichen, in ein Teehaus geht man nur zweitrangig, um einen Tee zu trinken.

Noch immer sind Teehäuser ein männliches Reservat, Frauen sind unerwünscht, lenken ab und stören den Frieden. Eine, die dieses Tabu bricht, gerät – es sei denn, sie ist schon zahnlos oder Touristin – automatisch in den Verdacht, ein "leichtes Mädchen" zu sein. "Ehrbare" Frauen treiben sich hier nicht herum, setzen sich nicht diesen Blicken aus und "provozieren" Mißverständnisse. Denn: Auch in Kairo gibt es Prostituierte, und die sitzen sehr bewußt in Teehäusern, um auf Kunden zu warten. Noch immer sind Teehäuser auch Zentrum des Straßenlebens, in manchen Vierteln findet sich alle 50 Meter eins. Doch keines gleicht dem anderen: Es gibt Teehäuser der Intellektuellen, der Linken, der muslimischen Fundamentalisten, Treffpunkte der Schwarzhändler, der Musiker, der Homosexuellen und natürlich auch Touristenteehäuser.

Sufische Mystiker waren es, die im 16. Jahrhundert den Kaffee nach Kairo brachten. Bald wurde die Stadt zum Zentrum des Kaffeehandels aus dem Jemen. Von hier verkauften ihn Händler nach Istanbul und Europa. Gleich zwei Häuser neben der "Cafeteria El Horea" rumort die motorgetriebene Mühle eines Kaffeehändlers, säckeweise werden die schwarzen Bohnen auf großen Blechen geröstet und anschließend gemahlen. Der intensive Duft macht Durst. Wer einen Quahwa bestellt, wird Zeuge einer jahrhundertealten Zeremonie: In eine "Kanaka", einen kleinen Messingtopf mit Stielgriff, wird erst der Zucker gelöffelt, dann der Pulverkaffee und zuletzt das Wasser. Auf einem Haufen glühender Kohle wird der Kaffee zum Kochen gebracht. Der Quahwagi bringt die Kanaka und kleine Mokkatassen auf einem Tablett und schüttet die Flüssigkeit vor den Augen des Gastes in schwungvollem Bogen so in die Tasse, daß der dickflüssige Pulverschaum oben bleibt. Nur langsam sinkt er ab – Zeit genug für einen Wunsch.

Ein Bestellzwang besteht nicht, ein Teehaus ist wie ein öffentlicher Park, ein Ruheplatz. Eine Ähnlichkeit besteht am ehesten mit einem Wiener Kaffeehaus. Noch immer singen dort die Kinder: "Abcd, trink nicht so viel Kaffee / Sei doch kein Muselmann, der es nicht lassen kann!" Doch die große Kaffeezeit ist vorbei, die Engländer brachten den Ägyptern im 19. Jahrhundert das Teetrinken bei. Aber "englisch" wird "Tschay" längst nicht mehr getrunken: Die ägyptische Version wird sehr stark und so undurchsichtig schwarz wie Kaffee serviert. Bevorzugt wird billiger Teestaub, der erst nach zwei Teelöffeln aufwärts Geschmack erzeugt – dafür kommt reichlich "Sukkar" ins Glas. Das englische "sugar" und das deutsche Wort "Zucker" wurden aus dem Arabischen übernommen. "Wenig" Zucker bedeutet zwei bis drei Löffel.

Ein Teehaus ist der ideale Ort, um Menschen zu beobachten. Meist liegt es in einer Passage zwischen zwei Häusern, halb überdacht mit Blick auf die Straße. Es ist nicht oder nur simpel dekoriert, der Boden ist voller Sägespäne, oft wird er mit Wasser besprenkelt, um den Staub am Aufsteigen zu hindern. Nicht umsonst verbringt Naguib Mahfuz, Kairos prominentester Teehausenthusiast, ganze Tage in diesen Sammelpunkten des täglichen Lebens. Er hat das "Ali Baba" am Tahrir-Platz berühmt gemacht. Von seinem Stammtisch am Fenster der zweiten Etage dieses doppelstöckigen eher modernen denn traditionellen Teehauses fällt der Blick über den vom Berufsverkehr verstopften Platz durch die Lücke zwischen Außenministerium und dem ehemaligen Sitz der Arabischen Liga auf den Nil und die neue Oper. "Ich komme jeden Morgen hierher, um über die Menschheit zu lesen und einen Blick auf sie zu werfen", sagt der 77-jährige Literatur-Nobelpreisträger. "Du siehst die halbe Welt – von hier aus."

Zufallsgespräche in Teehäusern sind immer überraschend und selten langweilig. Da ist der Straßenbahnschaffner, ein Flüchtling aus Äthiopien; der Nubier, dessen Heimat vom Aswan-Stausee überflutet wurde; der sudanesische Student, dessen Aufenthalt von einer Hilfsorganisation bezahlt wird; sogar ein Medizinstudent, der im Sommer in Marburg studieren will, spricht mich vom Nachbartisch an. Wir verabreden uns hier für den nächsten Tag, ich soll ihm von Deutschland erzählen. Gerne stimme ich zu, ich werde sowieso da sein – muß noch einen Artikel über Kairos Teehäuser schreiben.

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Wie wohnen die Fellachen?
von Diethelm Eigner

Papyrus-Logo Nr. 4/85, pp. 55—57
vgl. auch die Buchbesprechung in PAPYRUS 12/84:
D. Eigner, "Ländliche Architektur und Siedlungsformen im Ägypten der Gegenwart"

Zeichnung: Ländliche Bauweise

Um es gleich vorweg zu nehmen: kaum anders als vor 4.000 Jahren. Doch wird der Hochdamm von Assuan auch im ländlichen Bauwesen eine einschneidende Änderung bringen. Das Baumaterial der Häuser war bis jetzt der Nilschlamm, der auch den fruchtbaren Ackerboden bildet. Durch das Ausbleiben der jährlichen Nilflut fehlt auch der Nachschub an Baumaterial. Heute wird die Ackerscholle abgetragen und für Bauzwecke verwendet, überdies vergrößern sich die Dörfer regellos und unkontrolliert ins Ackerland hinein, da die früheren Grenzen durch die Überschwemmung nicht mehr gegeben sind. Falls die ägyptische Regierung nicht ernsthafte Schritte gegen diesen Raubbau am Fruchtland unternimmt, scheint eine Katastrophe unausweichlich. Das auf den ersten Blick "primitiv" anmutende Baumaterial Nilschlamm ist durch seine bauphysikalischen Eigenschaften für das ägyptische Klima hervorragend geeignet und bietet den Bewohnern der Häuser im Sommer wie im Winter angenehm temperierte Räume. In Oberägypten werden luftgetrocknete Ziegel verwendet, während die Häuser im Delta vorwiegend in der "batûf"-Bauweise errichtet werden, wobei die Mauern aus Schlammbatzen mit der Hand geformt werden. Die heute schon im Delta vielfach zu beobachtende Bauweise eines Stahlbetonskelettes, das mit dünnen (oft nur ½ Ziegel starken) Wänden aus gebrannten Ziegeln ausgefacht ist, wird den klimatischen Bedingungen in keiner Weise gerecht. Als vordringlichste Aufgabe erscheint es, einen adäquaten Ersatz für das Baumaterial Nilschlamm zu finden.

Grundriss
Abb. A. Typischer Hausgrundriß aus dem östlichen Nildelta.
1 – Backofen
2 – Kochstelle
3 – Öffnung im Dach

Das enorme Wachstum der Dörfer geht auf den Wunsch jeder Familie zurück, ein eigenes Haus zu besitzen. Dabei sind die Ausmaße zum Teil recht bescheiden: in einem untersuchten Dorf des Ostdeltas stehen einer Familie von 6 bis 8 Personen rund 64 m² Nutzfläche zur Verfügung, die sie noch mit zwei Großtieren (Wasserbüffel, Kuh) zu teilen hat, dazu kommen noch Hühner und Enten, mitunter ein Schaf oder eine Ziege. Günstiger sind die Flächenwerte in Oberägypten (in einem Dorf in der Nähe von Luxor): einer Familie von 5 bis 6 Personen steht eine Nutzfläche von rund 120 m² zur Verfügung, wovon allerdings etwa die Hälfte aus Höfen und Ställen besteht. Durch die Lage vieler oberägyptischer Dörfer auf Wüstenboden am Rande des Fruchtlandes ergibt sich ein größeres Angebot an Bauland, außerdem besitzen die meisten Häuser ein ausgebautes Obergeschoß, was im Delta nicht üblich ist.

Zur technischen Ausführung ist noch zu bemerken: die Fußböden bestehen aus gestampftem Nilschlamm, die Decken aus gespalten Palmstämmen, die ein Geflecht aus Palmrispen tragen. Wände und Decken erhalten oft, aber nicht immer, eine Verputzschicht aus Nilschlamm. Damit ist der Innenausbau des Hauses abgeschlossen. Die Hausfrau hat einen ewigen Kampf gegen den Staub zu führen, der von Wänden und Decken rieselt. Elektrischer Strom ist in viele Dörfer noch nicht eingeleitet, die Beleuchtung erfolgt durch Öllampen. Das Wasser wird von öffentlichen Brunnen geholt und in Tongefäßen aufbewahrt. Aborte sind meist nicht vorhanden, die Umgebung der Häuser dient für diesen Zweck ebenso wie zur Ablagerung von Abfällen.

Als "Wohnraum" in unserem Sinn kann der Hauptraum des Hauses bezeichnet werden, der unmittelbar hinter der Eingangstüre liegt, die für Mensch und Tier den einzigen Zugang in das Haus bildet. Hier spielt sich ein guter Teil des häuslichen Lebens ab, der Raum ist Repräsentations- und Empfangsraum, wo Gäste empfangen und bewirtet werden. Dementsprechend ist er auch mit Sitzbänken und Matten ausgestattet, falls vorhanden, sind hier Fernsehapparat und Radio aufgestellt. Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Hausherren darf kein Besucher die weiteren Räume des Hauses betreten. Bei günstiger Witterung übernimmt der Platz vor der Haustüre einige Funktionen des Empfangsraumes. Zu diesem Zweck ist an der Hausfassade eine Bank gemauert ("mastaba").

Schlafräume sind in allen Häusern vorhanden, doch dienen sie oft nur als Abstellräume. Die einzeln Mitglieder der vielköpfigen Familie schlagen ihre Schlafstelle oft an wechselnden Orten auf. Das geschieht einfach durch Auflegen einer Matte auf den Boden. Die Matte – im Delta aus gespaltenem Schilfrohr, in Oberägypten aus Halfa-Gras geflochten – ist das wichtigste Möbelstück überhaupt. Im wahrsten Sinne "mobil" dient sie als Schlaf- und Sitzgelegenheit im ganzen Bereich des Hauses. Außerdem gibt es noch die aus Holz gezimmerte Sitz- und Liegebank ("dikka"), die das einzige traditionelle Möbelstück in unserem Sinne ist. Möbel europäischer Bauart – Betten und Schränke – sind in vielen Häusern zu finden, vielfach aber nicht mehr in Gebrauch. Die Möbel gelangen als Mitgift der Braut in das Haus, doch nach ihrer Abnutzung oder Beschädigung kehrt man oft wieder zu den traditionellen Wohnformen zurück.

Als "Bad" dient eine große flache Blechschüssel, die bei Bedarf an einem unbeobachteten Ort des Hauses auf dem Boden aufgestellt wird. Der Badende steht in der Schüssel und übergießt sich mit Wasser, das in der Asche des Backofens vorgewärmt werden kann. Diese Schüssel dient auch zum Wäschewaschen, mit dem die Hausfrau – wie mit dem Kochen – fast ständig beschäftigt ist.

Grundriss
Abb. B. Typischer Hausgrundriß aus Oberägypten (bei Luxor)

Eine Küche – Kultraum der westlichen Hausfrau – gibt es nicht. In Oberägypten besteht die Kochstelle meist nur aus zwei Ziegeln, die an einer Wand des Hofes aufgestellt sind, doch besitzt fast jeder Haushalt einen Petroleumkocher. Im Delta ist ein kleiner, aus Nilschlamm geformter Herd an den Backofen angebaut. Die Mahlzeiten werden auf dem Boden hockend oder auf Matten sitzend eingenommen, meist im "Empfangsraum", doch auch an anderen Stellen des Hauses. Die Schüsseln mit den Speisen stehen dabei auf einer Matte oder auf einem niedrigen runden Holztisch. Gemeinsame Mahlzeiten aller Familienmitglieder sind selten. Vor allem wenn Gäste zugegen sind, haben die Frauen die Männer zu bedienen und sich mit ihrem Platz in der "Küche" zu begnügen.

Jedes Bauernhaus besitzt einen Backofen, wo – je nach Größe der Familie – ein bis zweimal pro Woche Brot gebacken wird. Der Backofen muß etwa alle zwei Jahre erneuert werden, wobei der Bau des Ofens eine Aufgabe der Hausfrau ist.

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Kamelmarkt in Imbaba
von Ekkehard Schmidt
in 2 Teilen

Teil 1 Papyrus-Logo Nr. 10/89, pp. 51—53

"Soldaten, geht nun und denkt daran: Vierzig Jahrhunderte blicken von der Höhe dieser Monumente auf euch herab!" – so feuerte im Jahr 1798 der spätere französische Kaiser Napoleon Bonaparte seine Truppen an, als sie unter den Pyramiden von Gizeh der Mameluckenstreitmacht des ägyptischen Herrschers Murad-Bey gegenüberstanden. Die "Schlacht bei den Pyramiden" wird sie genannt, obwohl Imbaba, der Ort der Schlacht am westlichen Nilufer gegenüber von Kairo, gute 15 km von den Pyramiden entfernt liegt. So ganz genau nahmen das spätere Geschichtsschreiber nicht. Damals konnte man sich bei Imbaba tatsächlich noch nahe der Pyramiden fühlen. Heute verschwinden sie im Smog der ägyptischen Hauptstadt, lassen sich mit viel Glück gerade noch vom Dach achtstöckiger Hochhäuser entdecken. Blickt man nach Nordwesten über die staubig braunen, armseligen Backsteinhäuser von Imbaba, fällt es der Fantasie schwer, sich auch nur zwei Jahrhunderte zurückzuversetzen.

Besser gelingt das auf dem Boden des alten Kamelmarktes von Imbaba. Der schläfrig-dösige Taxifahrer will seinen Gast morgens um sechs nur zum Libanonplatz fahren, den letzten Kilometer zum "Souk il Gimal", dem Kamelmarkt von Imbaba, will er nicht fahren: dort sei "kullu sahma" – Verkehrschaos. Zu Fuß führt der Weg an einem Bahndamm entlang, ganze Hundertschaften dick vermummter Fellachen stolpern über die Gleise. Überall Müllberge, ausgediente Güterwaggons rosten vor sich hin. Auch später auf der Straße muß man gegen den Strom laufen. Auto an Auto reiht sich die endlose Schlange des frühmorgendlichen Pendlerverkehrs in die Innenstadt. Mittendrin Bauern auf Eselskarren mit Bergen frischen Grünzeugs und Kisten voller Federvieh. Über die Gleise des zweiten Bahnüberganges muß ein Esel gestolpert sein und ein Hufeisen verloren haben. Silbrig glänzt es im braunen Staub.

Seit 1930 gibt es diesen Kamelmarkt. Einst lag er tatsächlich in Imbaba, am Rande der Hauptstadt, dort wo das Ackerland beginnt. Doch das ehemals fruchtbar grüne Ackerland ist längst zu einem der am dichtesten besiedelten Stadtteile Kairos geworden. 1968 mußte der Markt umziehen. Heute findet man ihn ein paar Kilometer weiter außerhalb in Baraki. Doch nur zwanzig Jahre brauchte die wuchernde Großstadt, um den Markt wieder einzuholen. Heute liegt er wieder in einer Baulücke, umringt von gesichtslosen Häusern an einem nutzlos gewordenen, mit Müll zugeschütteten Bewässerungskanal. Freies Baugelände ist immer noch rar. Die ständig wachsende 14-Millionen-Stadt wird ihn auch von hier verdrängen und überwuchern.

Über eine Mauer ragen die Köpfe der ersten Dromedare hervor, neugierig recken sie die kahlgeschorenen Hälse. Ein Staubweg führt in ein weites Areal. Lehmbauten und Beton-Unterstände teilen das etwa 150 mal 200 Meter große Gelände in ein halbes Dutzend kleinerer Marktflächen. Riesige Strohberge, auf kleineren Häusern aufgeschichtet, wachsen die Wand der alles umgebenden Mietshäuser hoch. Das Karree wirkt, als sei es mit einem Messer aus dem in diese Richtung fensterlosen Häusermeer herausgeschnitten.

Überall stehen einhöckrige Dromedare, Kamele gibt es in Nordafrika kaum. So früh am Morgen herrscht noch Ruhe, die Tiere kauen große Klee- und Grasbüschel, sie sollen munter sein, stark und aufgeweckt, wenn die ersten Käufer kommen. Noch bleibt Zeit, auf kleinen Feuern kochen sich die Kameltreiber Tee. Ein Sudanese in einer strahlendweißen Galabeya lädt mich im Morgengrauen auf ein Glas ein. Abdallah ist sein Name. Seit 14 Jahren kommt er regelmäßig hierher. Vier Wochen werden er und seine vier Kollegen brauchen, um die 150 Dromedare zu verkaufen, die sie vom Sudan hierher getrieben haben. Vor den Mündern und über den Köpfen der Männer steigt der Atem in Dunstschwaden hoch. Es ist sehr kalt und sehr still. Wir frieren, aber das gehört dazu, nur so schmeckt der Tee auch richtig köstlich. Plötzlich treiben Kameltreiber, ihre langen Bambusruten schwingend, eine halbe Hundertschaft Dromedare aus einem abseits gelegenen Pferch auf den Platz. Wild gestikulierend scheuchen sie die Tiere im Laufschritt in Gruppen zu je zwei bis drei Dutzend zusammen und rangieren sie buchstäblich herum. Dann herrscht wieder Ruhe. Erst nach Sonnenaufgang kommt mehr Leben in den Markt. Aus allen Ecken rufen und schreien die Treiber, fast alle mit doppelten weißen und grünen Kopftüchern zum Schutz gegen den beißenden Frost. Jungen verkaufen warme Sesamkringel und Kuchen, die sie auf großen Platten herumtragen.

Der alles bedeckende kalte Staub liegt noch feucht-klamm am Boden, später wird er eine große heiße Wolke bilden, die das Atmen schwer macht. Abends legt er sich wieder müde auf den Platz.

Die Tiere wirken zwar unruhig, manche verschreckt, aber nicht bemitleidenswert. Dafür bewahren sie zu sehr Haltung, sie stehen über der Sache, sie beherrschen alles. Was diese zweibeinigen Wesen von ihnen wollen, scheint sie wenig zu interessieren. Angebunden werden sie nicht, sie sollen stets manövrierbar sein. Ein Vorderbein in Kniehöhe abgewinkelt hochgebunden, stehen sie da. Wenn die Tiere angetrieben werden, um sich zu bewegen oder weil sie woanders hingetrieben werden sollen, hetzen sie mit seltsam komisch anmutenden Sprüngen durch den Staub. Kopf und Hals werden weit vorgestreckt, dann folgt ein Aufbäumen, ein Sprung mit dem freien Vorderbein nach vorne – und jetzt erst wird in einer gewaltigen Kraftanstrengung der Hinterkörper nachgezogen. Diese erhaben, urzeitlich, in dieser Umgebung aber zugleich hilflos wirkenden Tiere sind gezwungen, wie Karnickel zu springen. Es ist ein schwer faßbarer, tief bewegender Anblick.

Im Koran stehen 99 Namen Allahs, den hundertsten, so sagen die Araber, kennt nur das Gimal, wie die Dromedare genannt werden. Deshalb blickt es über die gespaltene Oberlippen arrogant auf die Menschen herunter. In der Gruppe betrachtet, ist von dieser Überlegenheit nichts mehr zu spüren. Bis zu 80 Tiere stehen da in großen Kreisen, die Köpfe aneinander, um einen Haufen Stroh herum. Auf und nieder, in ständiger Bewegung, wogen unzählige Köpfe und Hälse – wie Sumpfgrasdolden in einem zugewachsenen Teich. Immer in Bewegung, immer neue Formationen bildend. Ein hinüberfliegender Vogel könnte an eine riesige Blume denken: Um den freien Hohlraum, das Luftloch im Zentrum dieser Fleischmasse, gruppieren sich die Tiere wie Blütenblätter. Die Köpfe aneinander als Schutz gegen die Kälte und gegen die mit Stöcken herumfuchtelnden Menschen, von denen sie nicht wissen, was die hier mit ihnen vorhaben.

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Punkt  Punkt

 

Teil 2 Papyrus-Logo Nr. 11/89, pp. 58—62

Ein Auto fährt quer durch den Markt und demonstriert, wie wenig nützlich Dromedare heute noch sind. Beduinen und Bauern halten die zähen und genügsamen Tiere nur noch als Eselersatz oder als Reittiere für Touristentouren. Ihre außergewöhnliche Fähigkeit, bis zu 14 Tage ohne Wasser laufen zu können, weil die Körpertemperatur – anders als beim Menschen – der Außentemperatur angeglichen werden kann, ist nicht mehr gefragt. Manchmal flüchtet ein Tier, rennt angstvoll blökend herum und ordnet sich in eine fremde Gruppe ein – wenn es nicht vorher vom Treiber, der blitzschnell hinterher sprintet, mit einem gewaltigen Stockhieb erwischt wird. Der Flüchtling steckt einfach Kopf und Hals in den Raum zwischen zwei Hinterteilen und schiebt sich durch bis zum Hohlraum im Inneren, um in der Menge unterzutauchen. Aber das mißlingt, der Aufseher über diese fremde Gruppe schlüpft zwischen seinen Tieren durch und treibt den Eindringling vom Kopf her rückwärts wieder heraus. Manchmal rennen die Tiere auch einfach mutig drauflos, sortieren sich nirgends schutzsuchend ein, sondern suchen offensichtlich nach einem Weg ins Freie: Doch überall sind Treiber, "Huss" rufen sie, oder warnend "Arfa!". Die Herden eines Händlers sollen auch wegen der Ansteckungsgefahr untereinander bleiben. Die Tiere werden streng nach Geschlecht getrennt gehalten. Weibliche Tiere dürfen sich nicht zu den männlichen gesellen, das brächte zu große Unruhe.

Nur die männlichen Dromedare werden für die Arbeit ge- und verkauft, erklärt Rizr, die Stuten kommen zum Schlachter. Er macht die Halsabschneidegeste mit der Hand. Fünf Schlachthöfe gibt es hier in der Umgebung. Rizr ist einer der ersten potentiellen Käufer heute morgen. Er ist "from the pyramids", einer jener Herren also, die Touristen das Glück eines Kamelrittes versprechen und niemals lockerlassen. Ob ich ihn nicht begleiten möchte, fragt er, er sucht ein schönes Tier für Touristenphotos. Photogen und friedlich soll es sein.

Als die kalte Dämmerung auftaut und die Köpfe der Tiere von der Sonne angeleuchtet werden, ändert sich die Szenerie. Von den unzähligen Körpern steigt Dampf auf, auch wenn es noch lange nicht warm wird. Zwei Händler oder Zwischenhändler aus Oberägypten führen Rizr herum, Treiber führen ihm einzelne Tiere vor. Doch Rizr scheint nicht so richtig das Wahre zu finden, prüft kaum ein Tier ernsthaft. Wenn ihn doch eins interessiert, prüft er an der Brust des Tieres, ob es einen gesunden Knochenbau hat. Auf viele Dinge muß geachtet werden: Ein bläulicher Schimmer in den Augen würde zeigen, daß das Tier blind ist, ein Tier, das auffällig die Sonne sucht, könnte von Blutparasiten befallen sein; ein sabberndes Tier oder eines mit einem sehr großen Brüllsack am Hals könnte krank sein; an den Zähnen läßt sich das Alter erkennen. Bis zu 10 Jahre alt kann ein Dromedar werden, doch die meisten hier sind erst drei Jahre alt. Der Mann, der uns herumführt, muß den "Laden" gut kennen, muß wissen, wo er steht, jedenfalls führt er uns nicht systematisch von einer Gruppe zur nächsten, sondern zielstrebig zu bestimmten Kamelen. Saison sei im Winter, Januar und Februar, meint Rizr. Er findet heute nicht, was er sucht, aber er wird morgen wiederkommen, die Auswahl ist groß. Vor zwei Jahren habe es hier täglich höchstens 300 Tiere gegeben, doch jetzt blühe das Geschäft wieder, weil im Sudan aufgrund der Hungersnot und des Bürgerkrieges mancher Bauer gezwungen sei, seine Tiere zu verkaufen.

Der Kamelbestand in Ägypten beläuft sich auf 68.000 Tiere (Stand: Okt. 1986), was relativ viel ist im Vergleich zu Pferden (9.000), aber wenig im Vergleich zu Kühen (1.743 Mill.) und Büffeln (2.43 Mill.). Hier stehen momentan etwa 1.000 Dromedare. Ein Dromedar kostet 1.200 bis 2.000 ägyptische Pfunde, teurer als 1.500 Mark kein Tier. Die selteneren und daher besonders begehrten weißen Tiere bringen den größten Erlös.

Zehnjährige Jungen bewachen Ziegenherden. Auch ein paar Esel warten auf einem großen Dunghügel in der Mitte des hinteren Platzes. Regungslos, Hintern an Hintern, stehen sie da auf dieser Insel. In der Mitte des Hügels ein Strommast. Müll wird verbrannt, Rauchschwaden ziehen hoch. Der Blick fällt auf eine große Fleisch- und Fellmasse: Ein vom Feuer angesengter und schmorender Kamelleichnam. Ungerührt stehen die Esel daneben. Ein surreales grausames Bild, das an apokalyptische Visionen eines Salvador Dali erinnert: Alles zerstört, als traurig sinnlose Wächter bleiben die Esel stehen. Irgendwer hat sie dort hochgetrieben, damit sie zwischen den Trampeltieren nicht verloren gehen. Dromedare gibt es hier jeden Tag zu sehen, verkauft werden sie jedoch nur freitags und sonntags. Am Sonntag werden vor allem Schafe und Büffel verkauft, Esel gibt es sonntags am meisten. 75 Pfund – etwa 50 Mark kostet ein Esel.

"Arba'ein" – 40 Tage – so nennen die Sudanesen die Reise nach Kairo. Heute werden kaum noch Lasten transportiert. Die Tiere sind selbst zur Handelsware geworden. Auf ihrem letzten Marsch transportieren sie oft nur noch ihr eigenes Fleisch. Nur die geschorenen Tiere sollen noch als Arbeits- und Lasttiere verkauft werden. Herden von bis zu 500 Tieren werden in Ed Damer, im Norden des Sudan, zusammengestellt. Mit einer kleineren Herde ist Abdallah jetzt das neunte Mal den Nil herunter gezogen und durch die Libysche Wüste westlich des Assuansees vorbei nach Ägypten. Die guten Arbeits-Dromedare kommen heute nicht mehr in die ägyptische Hauptstadt, für sie ist schon nach einem Drittel der 1.400 km langen alten Route in Daraw, 30 km nördlich von Assuan, oder in einem zweiten Markt bei Luxor das Ziel erreicht. Zur Endstation nach Kairo kommt fast nur noch das Schlachtvieh. Auf die Frage, wie lange die Tiere von Assuan bis Kairo unterwegs sind, antwortet Rizr trocken: "Zwei Tage." Auch die letzte Illusion wird mir genommen. "Die fahren mit dem Zug", lacht Rizr, als er meinen verdutzten Blick auffängt. Nach Kairo ging es schon immer mit der Eisenbahn. Die Tiere sind nicht etwa früher die letzte Strecke gelaufen. Vor dem Bau der ersten Eisenbahnlinie nach Assuan im letzten Jahrhundert gab es in Kairo keinen überregionalen Kamelmarkt. Den organisierten erst die Engländer. In Gizeh endet der Zug. Dort werden die Tiere auf LKW verladen. In Imbaba treffen sie gegen Mitternacht ein. Doch auch jetzt kommen noch Nachzügler.

An der "Registratur" am Eingang müssen pro Tier 1,50 Pfund bezahlt werden. Der Preis ist festgesetzt, das Gelände gehört dem Staat, der es an den privaten Geschäftinhaber verpachtet. Neben dem Eselshügel, an einer Art Rampe, hält ein blauer LKW, die Tiere werden heruntergeprügelt, stolpern über eine Metallplatte auf den Dunghaufen. Fast alle kommen aus Assuan, aber mancher LKW bringt auch Wüstentiere aus der Oase Kharga oder Bergtiere aus dem Sinai und Somalia. Die Tiere aus Somalia sind größer und kräftiger. Sie sind per Schiff das Rote Meer hochgefahren und in Suez an Land gegangen. Der Markt in Kairo ist der größte im Nahen Osten.

Manche Tiere haben den ein Meter langen Schwanz geschoren und mit breiten Strichen und Linienmustern tätowiert. Zur Kennzeichnung haben die meisten Nummern am Hals oder Buchstaben an der Hinterflanke eingebrannt. Sie zeigen, von welchem Clan im Sudan das Tier stammt. Für etwa 600 Pfund kauft Abdallahs "Boss" die Tiere auf, von überall im Lande liest er die Tiere auf. 500 Pfund Lohn gibt er Abdallah – das ist viel Geld, "aber die Arbeit ist ziemlich öde", sagt er.

Neben der Hütte eines Flickschusters am Ausgang sitzt ein Kameljunges, ganz weiß, das Haar noch krauselig-klebrig in großen Tortellini-Locken. "Du hast Glück, ein Junges zu sehen", sagt Abdallah. "Das ist ganz selten, es muß die Nacht geboren sein." Ein paar Schritte weiter glänzt intensiv rot eine große Blutlache im Stroh. Daneben hockt ein Junge von höchstens 12 Jahren. Mit einem langen scharfen Messer bearbeitet er den Kopf einer geschlachteten Ziege. Er arbeitet so routiniert schnell und in Gedanken versunken, als ob er schon seit Jahren Ziegen häuten würde. "Warum kaufst du das junge Kamel nicht?", fragt Abdallah fast ernsthaft, und ich stelle mir vor, wie es zu Hause im Wohnzimmer steht, wie ich es mit H-Milch und Gras füttere – und wie es größer wird. Aber Quatsch, natürlich winke ich ab, trotzdem heimlich fasziniert von der Idee. Als der ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter im vergangenen Jahr diesen Markt besuchte, mußte er diplomatischer sein. Zwar lehnte er erst ab, als ihm ein Händler ein Dromedar schenken wollte, doch am nächsten Morgen stand der Händler vor der Botschaft – mit Geschenk. Um die amerikanisch-ägyptischen Beziehungen nicht zu gefährden, mußte das Geschenk angenommen werden.

Gegen Zehn kommen die ersten Touristengruppen. Die Dromedare stehen längst nicht mehr in Gruppen, das Feld hat sich gelichtet. Gegen Mittag löst sich der Markt auf. Draußen auf der Straße herrscht noch immer "zahma". Kleinere Kamelgruppen warten beiderseits der Autoschlange auf den Abmarsch. Plötzlich ein lautes Blöken. Ein Treiber scheucht vier Dromedare quer über die volle Straße. Die Tiere weigern sich, wollen da nicht vor diese laut brummenden bunten Metallkisten, aber es hilft nichts, sie müssen da durch, werden vor die Autos getrieben. Die Menschen am Steuer zeigen wenig Mitleid mit diesen verlorenen und hilflos wirkenden Kreaturen. Wie lautet noch dieses alte sudanesische Sprichwort? "Al kalib yanbah, wal jamal mashi" – Der Hund bellt, das Kamel schreitet weiter. Genervt hupt ein Autofahrer, dann schiebt sich die Blechkarawane weiter.

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